Next Gen Interview: Die Multitaskerin

Das Interesse an der Nachfolge entstand bei Ihnen früh. Wie entwickelte sich das?

MA­RIE-CHRIS­TI­NE OS­TER­MANN: Mei­ne El­tern ha­ben mich spie­le­risch mit­ge­nom­men. In jun­gen Jah­ren ging ich mit auf die Haus­mes­sen, so wur­de ich mit dem An­ge­bot ver­traut, hat­te Ein­bli­cke in un­ser Ge­schäft mit Le­bens­mit­teln. Mein Va­ter hat mich am Wo­chen­en­de im­mer mal wie­der mit in die Fir­ma ge­nom­men. Ich habe in sei­nem Büro ge­spielt, das hat mich fas­zi­niert. So kam bei mir die Idee auf, dass ich das Ge­schäft der­einst wei­ter­füh­ren will. Als ich 16 war, habe ich mich mei­nem Va­ter da­mit of­fen­bart …

… und wie hat er reagiert?

Er­freut, aber erst mal zu­rück­hal­tend. »Schaun wir mal«, hat er ge­sagt, und: »Mach erst mal dei­ne Aus­bil­dung zu Ende. Bli­cke dich rechts und links von die­sem Weg um, ma­che das, was dir Freu­de macht.«

Mein Va­ter war und ist mir ein Vor­bild.

Was haben Sie von dieser Empfehlung umgesetzt?

Mein Va­ter war und ist mir ein Vor­bild. Er hat­te recht, mir fehl­te da­mals noch das Ge­fühl, was ein Be­rufs­weg in der un­ter­neh­me­ri­schen Pra­xis be­deu­tet. In der Schu­le gab es so et­was wie »Wirt­schaft« nicht, ich wuss­te nichts von Buch­hal­tung, Fi­nan­zen, Or­ga­ni­sa­ti­on. Nach dem Ab­itur habe ich des­halb den Schritt in die Ar­beits­welt au­ßer­halb un­se­res Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mens ge­tan: eine Leh­re bei der Com­merz­bank, sie hat mir viel ge­bracht.

Gab es noch weitere Stationen externer Bewährung?

Wäh­rend des BWL-Stu­di­ums in St. Gal­len habe ich Prak­ti­ka ge­macht. Mir war wich­tig, dass die­se weit weg von der Hei­mat und in di­ver­sen Ar­beits­fel­dern lie­gen. Es zeich­ne­te sich ja schon ab, dass ich bald mein gan­zes Be­rufs­le­ben in Hamm bei Rull­ko ver­brin­gen wür­de – des­halb der Blick nach drau­ßen. Ich ging nach Hong­kong, zu ei­nem Wer­be­ar­ti­kel­groß­händ­ler. Dann nach San Die­go, ar­bei­te­te auf ei­ner Pfer­der­anch. Und ich war in Lon­don, bei ei­ner Künst­ler­agen­tur. Die­se Sta­tio­nen wa­ren wich­tig, sie ha­ben mei­nen Blick ge­wei­tet.

Aber man braucht ja für die Nachfolge auch Branchenwissen – was haben Sie getan, um da reinzukommen?

Ich ging zu Aldi, die ha­ben eine sehr gute Trainee­aus­bil­dung. Da lern­te ich den Le­bens­mit­tel­han­del von der Pike auf. Ich habe kas­siert, Re­ga­le ein­ge­räumt, mit­un­ter auch ge­putzt – den gan­zen har­ten All­tag mit­ge­macht. Ich war 26, als ich zu Aldi kam, hat­te von heu­te auf mor­gen 70 Mit­ar­bei­ter zu füh­ren. Eine Her­aus­for­de­rung! Ein­mal kam ein Fi­li­al­lei­ter zu mir, Typ selbst­be­wuss­ter Bay­er, seit 30 Jah­ren bei Aldi. Er sag­te nur: »Was will die Klei­ne?« In sol­chen Si­tua­tio­nen habe ich ge­lernt, wie man führt.

Was ist mit Ihrem Wissen von heute wichtig, damit der Einstieg gelingt?

Zwei­er­lei: Ge­naue Kennt­nis­se des Un­ter­neh­mens und eine An­sa­ge. Wie bei Aldi habe ich ab mei­nem Ein­stieg bei Rull­ko alle wich­ti­gen Ar­beits­be­rei­che durch­lau­fen, zum Bei­spiel Ein­kauf, Ver­kauf und die ge­sam­te Lo­gis­tik. Ich habe Ware ge­sta­pelt, Auf­trä­ge ge­packt, im Kühl­haus bei mi­nus 24 Grad ge­ar­bei­tet. Da­durch kann ich auf Au­gen­hö­he mit al­len Mit­ar­bei­tern re­den. Hin­zu kam eine An­sa­ge mei­nes Va­ters: »Ma­rie-Chris­ti­ne Os­ter­mann ist jetzt Che­fin.« Zeit­gleich habe ich 16 Pro­zent der Fir­men­an­tei­le über­nom­men – das war für alle ein kla­res State­ment zu mei­ner Rol­le. Da­mit war ich als Nach­fol­ge­rin po­si­tio­niert.

Viele Unternehmerfamilien halten die Parallelarbeit von Junior und Senior bewusst kurz. Sie arbeiten jetzt zehn Jahre Seite an Seite mit Carl-Dieter Ostermann, Ihrem Vater. Wie klappt das?

Sehr gut. Wir ha­ben da­durch ei­nen glei­ten­den Über­gang. Ich habe mir schritt­wei­se Ar­beits­be­rei­che er­schlos­sen, mein Va­ter de­le­giert im­mer mehr. Nach dem Start habe ich mich um das Azu­bi-Pro­gramm ge­küm­mert, ein Qua­li­täts­ma­nage­ment ein­ge­führt, die Per­so­nal­ar­beit über­nom­men. Qua Stu­di­en­schwer­punkt Con­trol­ling und Fi­nan­zen be­treue ich das auch im Be­trieb. Bei vie­len The­men ent­schei­den Va­ter und ich im Kon­sens, bei an­de­ren muss ich kämp­fen und un­fass­bar viel Über­zeu­gungs­ar­beit leis­ten. Da fal­len auch schon mal lau­te Wor­te – aber uns geht es um die Sa­che. Wir sind sehr of­fen, sa­gen al­les. Die Grund­la­ge von al­lem ist das ge­gen­sei­ti­ge Ver­trau­en. Wir schät­zen uns sehr!

Wie lange werden Sie in diesem Format noch weitermachen?

Mein Va­ter ist jetzt 68. Ich habe ihm schon das Si­gnal ge­ge­ben, dass es Zeit für den nächs­ten Schritt wird. So lang­sam will ich mal an das Gan­ze ran. Ich den­ke, er wird in­ner­halb der nächs­ten an­dert­halb bis zwei Jah­re den Weg für die voll­stän­di­ge Überg­a­be eb­nen.

Als Un­ter­neh­mer hat man eine ge­sell­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung, die habe ich wahr­ge­nom­men.

Zu Ihren Aktivitäten außerhalb des Geschäfts. Mancher Familienunternehmer sagt: »Politik. Nichts für mich, keine Zeit. Sollen die anderen machen.« Sie sind einen anderen Weg gegangen.

Als Un­ter­neh­mer hat man eine ge­sell­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung, die habe ich wahr­ge­nom­men. Den An­stoß gab ein Ju­nio­ren­tref­fen beim BJU, dort ha­ben wir sehr viel über das po­li­ti­sche Um­feld dis­ku­tiert. Ich bin tie­fer ein­ge­stie­gen – und war drei Jah­re Bun­des­vor­sit­zen­de der Jun­gen Un­ter­neh­mer.

Und Ihre Bilanz heute?

Ein­zel­ne Un­ter­neh­mer ha­ben in Deutsch­land oft nur eine lei­se Stim­me. Ge­mein­sam fin­den sie viel mehr Auf­merk­sam­keit. Als Che­fin der Jun­gen Un­ter­neh­mer konn­te ich dem Ver­band viel Ge­hör ver­schaf­fen. Wir ha­ben Un­ter­neh­mer­tum er­klärt, für die Ju­gend The­men wie Ge­ne­ra­tio­nen­ge­rech­tig­keit auf­ge­grif­fen, uns mit ei­ner frei­heit­li­chen Stim­me in die De­bat­te um die Eu­ro­kri­se ein­ge­schal­tet. Als Gast in Talk­shows im TV etwa konn­te ich mit ei­nem ein­zi­gen Auf­tritt 2 bis 3 Mil­lio­nen Zu­schau­er er­rei­chen. Das wirkt!

Den Be­ruf Un­ter­neh­mer fin­den vie­le Men­schen nicht at­trak­tiv. Dem will ich et­was ent­ge­gen­set­zen.

Sie sprachen mal von »Politik als Lebensaufgabe« …

Ich blei­be am The­ma; seit 2013 bin ich Mit­glied des Prä­si­di­ums im Ver­band »Die Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mer«. Dar­über hin­aus treibt mich das Un­ter­neh­mer­tum von mor­gen um. Wenn wir hö­ren, dass 53 Pro­zent der Hoch­schul­ab­sol­ven­ten mit ei­nem Job als Be­am­ter beim Staat sym­pa­thi­sie­ren, ist aus mei­ner Sicht et­was nicht in Ord­nung. Die Grün­der­quo­te sinkt, Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men fällt es schwer, Nach­fol­ger zu fin­den. Den Be­ruf Un­ter­neh­mer fin­den vie­le Men­schen nicht at­trak­tiv. Dem will ich et­was ent­ge­gen­set­zen.

Und was genau ist Ihr Projekt?

Wir ha­ben im Som­mer die­ses Jah­res »Star­t­up Teens« ge­grün­det, sein Cre­do: »Wir ma­chen jun­ge Un­ter­neh­mer« (In­ter­net: star­tup­teens.de, Anm. d. Red.). Wir, das sind Ve­re­na Paus­der, vier wei­te­re Un­ter­neh­mer und ich. In­zwi­schen ha­ben wir über 90 Un­ter­neh­mer als Un­ter­stüt­zer ge­won­nen. Wir wol­len Ju­gend­li­chen im Al­ter zwi­schen 14 und 19 Jah­ren den Be­rufs­weg Un­ter­neh­mer ganz prak­tisch na­he­brin­gen – etwa mit Events, an de­nen fünf Grün­der ihre Ge­schich­te vor­stel­len, mit ei­nem On­line-Trai­ning, das das Hand­werks­zeug des Grün­dens ver­mit­telt, und ei­nem Busi­ness­plan-Wett­be­werb. In Lipp­stadt und Hamm hat­ten wir die ers­ten bei­den Events. Je 120 Schü­ler wa­ren da­bei, und als sie den Ge­schich­ten der Grün­der lausch­ten, hat kei­ner mit sei­nem Smart­pho­ne ge­spielt, so span­nend war das. So wol­len wir da­für sor­gen, dass Teen­ager nicht nur für Tay­lor Swift und Jen­ni­fer La­wrence schwär­men, son­dern auch Un­ter­neh­mer zum Vor­bild neh­men. In den USA und Is­ra­el geht das, war­um nicht auch bei uns?

Das In­ter­view wurde geführt für den Un­ter­neh­mer­Brief 04/​2015.

Rullko Großeinkauf GmbH & Co. KG

Der Le­bens­mit­tel­groß­händ­ler Rull­ko in Hamm wur­de 1923 in Hamm ge­grün­det. Das Un­ter­neh­men be­schäf­tigt 150 Mit­ar­bei­ter und er­wirt­schaf­tet ei­nen Jah­res­um­satz von 70 Mio. EUR. Un­se­re Ge­sprächs­part­ne­rin Ma­rie-Chris­ti­ne Os­ter­mann ist Mit­glied der vier­ten In­ha­ber­ge­ne­ra­ti­on.

NextGen: Marie-Christine Ostermann, 37 Jahre, 4. Generation
Unternehmen: Rullko, 70 Mio. EUR Umsatz, 150 Mitarbeiter
Position: geschäftsführende Gesellschafterin
Story: Politik als Lebensaufgabe: als Chefin des Bundesverbands Junger Unternehmer und Mitglied im Präsidium des Verbands „Die Familienunternhemer“ streitet sie für die Zukunft des Unternehmertums.