Next Gen Interview: »Genau jetzt, genau hier«
Jessica Junghans Einstieg ins Familienunternehmen Pro-Idee fiel mit dem Beginn der Corona-Pandemie zusammen. Nichts lief wie ursprünglich geplant. Dennoch sei der Zeitpunkt genau richtig gewesen, sagt sie, denn gerade in dieser herausfordernden Zeit will sie unbedingt zu Hause mitanpacken.
Jessica, wie sah dein Weg ins Familienunternehmen aus?
JESSICA JUNGHANS: Nach meinem Masterstudium habe ich die letzten beiden Jahre vor dem Einstieg im Familienunternehmen bei Yoox Net-a-Porter in London gearbeitet, einem der Onlinemarktführer für Premium-Mode, der verschiedene Webshops betreibt und heute zum Richemont-Konzern gehört. Ich habe in den Bereichen Business-Transformation und Merchandising an der Umsetzung von strategischen Initiativen und bereichsübergreifenden Projekten gearbeitet und konnte dadurch viele Bereiche der Firma kennenlernen. Das war eine wertvolle Erfahrung für die Arbeit bei Pro-Idee.
War das eine bewusst gewählte Station mit Blick auf deine Rolle im Familienunternehmen?
Zunächst einmal bin ich meinem Interesse gefolgt. Aber mir war auch immer klar, dass ich mich in Zukunft mit dem Familienunternehmen intensiver würde auseinandersetzen wollen. Eine vielseitige Rolle in einem dynamischen E-Commerce-Unternehmen war da schon ein passender Schritt.
Irgendwann war es dann der natürliche nächste Schritt für mich, auch aktiv mitzuarbeiten.
Wie hast du dich mit deiner Familie über das Wie und Wann des Einstiegs abgestimmt?
Schon immer habe ich mich für die Firma interessiert und viel mit meinen Eltern über alle möglichen Ideen gesprochen. Irgendwann war es dann der natürliche nächste Schritt für mich, auch aktiv mitzuarbeiten. Bei meinem Job in London hatte ich mir zum Ziel gesetzt, einige Themen bis zum Projektabschluss zu begleiten. Das hat dann zeitlich so gepasst, dass ich dieses Jahr im Familienunternehmen angefangen habe.
In welcher Funktion bist du eingestiegen?
Meine Aufgabe ist das Business-Development, also die Weiterentwicklung unserer verschiedenen Geschäftsbereiche. Ein Fokus auf spezielle Online-Themen wäre zwar naheliegend gewesen, aber mir war wichtig, eine bereichsübergreifende Funktion zu haben,um den gesamten Betrieb richtig kennenzulernen: Neben Pro-Idee gehört noch Junghans Wolle zur Unternehmensgruppe, das der ursprüngliche Kern des Familienunternehmens war und immer noch eine wichtige Rolle spielt.
Und dann kam Corona?
Ja genau. Wir hatten einen Einarbeitungsplan erstellt, um alle Bereiche, Mitarbeiter und die wichtigsten Prozesse kennenzulernen. Aber mit Beginn der Corona-Krise haben sich dann alle Prioritäten verschoben. Nichts kam wie geplant. Da viele Verwaltungsmitarbeiter bis heute im Homeoffice arbeiten und fast alle Meetings immer noch nur virtuell stattfinden, war das Kennenlernen natürlich schwieriger. Auch sonst hat sich die Agenda komplett verschoben. Da war erst mal Hands-on-Krisenmanagement gefragt.
Wie sah das aus?
Der Schutz der Mitarbeiter und das Aufrechterhalten des Geschäftsbetriebs waren natürlich die oberste Priorität. Besonders im Bereich Logistik musste viel umstrukturiert werden, um Kontakte reduzieren und nachverfolgen zu können. Auch in der Lieferkette gab es Probleme, wo immer möglich haben wir das einerseits spezielle, andererseits aber auch breit ausgerichtete Sortiment entsprechend angepasst. Als positive Seite sehe ich, dass diese ungewöhnliche Zeit den Zusammenhalt untereinander stärkt und Veränderungen für die Zukunft beschleunigt.
Pro-Idee ist ein Spezialist für Dinge, die man eigentlich nicht braucht, die aber doch jeder haben möchte. Wie laufen eure Geschäfte in Corona-Zeiten?
Die Shops haben natürlich unter dem Lockdown gelitten, der Onlinehandel und Kataloge waren hier ganz klar im Vorteil. Die Nachfrage hat sich teilweise auch verschoben, Produkte für Haus und Garten, Küche und Fitness waren bei Pro-Idee beliebt. Bei Junghans Wolle haben viele Kunden Hobbys wie Stricken und Sticken wieder oder neu entdeckt.
Mit Blick auf die Zukunft finde ich es erfolgsentscheidend, dass wir diese Agilität, die wir in der Vergangenheit immer gezeigt haben, bewahren und fördern.
Hast du eine eigene Agenda, die du umsetzen willst, oder anders gefragt: Wo steht Pro-Idee in 20 Jahren?
Das ist unmöglich vorauszusagen. In der Vergangenheit gab es mehrere Veränderungen des Geschäftsmodells. Unsere Entwicklung vom kleinen Wollladen über einen klassischen Katalogversandhändler zu einem Multichannel-Concept-Store hat niemand 20 Jahre im Voraus planen können. Mit Blick auf die Zukunft finde ich es erfolgsentscheidend, dass wir diese Agilität, die wir in der Vergangenheit immer gezeigt haben, bewahren und fördern. Wir sind in einem sehr dynamischen Marktumfeld unterwegs – das macht es so spannend. Die Parameter verändern sich ständig, das Kundenverhalten verändert sich, die Wettbewerber verändern sich. Das ist eine ständige Herausforderung.
Stichwort Kundenverhalten. Wie weit seid ihr beim Thema Big Data? Wie gut kennt Ihr eure Kunden?
Wir analysieren natürlich das Kundenverhalten, haben in diesem Bereich aber auch noch viel Potenzial, um die Kundenerfahrung zu verbessern. Gleichzeitig soll unser Angebot aber kein automatisierter Daten-Feed werden. Allgemein hat die Pandemie auch beim Kaufverhalten existierende Trends verstärkt, wie den Wunsch, aus der Masse heraus etwa Ausgewähltes, Besonderes zu finden. Unser Fokus auf Produkte mit konkreten Vorteilen und Geschichte ist da eine gute Abgrenzung zu großen Onlineplattformen, die ihre Sortimente weniger mit Produktkompetenz, sondern hauptsächlich mit Datenanalysen und Algorithmen zusammenstellen, weil das skalierbarer ist.
Wie schafft ihr es, agil zu bleiben. Heuert ihr viele junge Digital Natives an?
Natürlich stellen wir auch junge Mitarbeiter ein. Jedes Unternehmen braucht bisweilen neue Impulse. Aber wir haben bei Junghans Wolle/Pro-Idee schon immer auch sehr tiefgreifende Veränderungen mit der bestehenden Mannschaft gestemmt. Unsere Mitarbeiterzugehörigkeit ist recht hoch, das ist auch im Onlinegeschäft kein Nachteil. Im Gegenteil: Wir haben viele angestammte Mitarbeiter, die den Wandel mitgehen und Neues gestalten wollen. Eine gute Mischung aus Erfahrung und neuen Impulsen macht den Unterschied. Ich habe auch einige Unternehmen mit sehr hoher Mitarbeiterfluktuation kennengelernt, da geht auch einiges verloren.
Eine gute Mischung aus Erfahrung und neuen Impulsen macht den Unterschied.
Haben du und dein Vater einen Zeitplan bestimmt, wie lange ihr gemeinsam im Unternehmen arbeiten wollt?
Da gibt es keinen Zeitplan. Ich bin ja gerade mal ein dreiviertel Jahr dabei und mein Vater hat aktuell auch keine Pläne, sich zurückzuziehen. Erst einmal haben wir gemeinsam noch viel vor. Die Hauptsache ist doch, dass die Zusammenarbeit nicht nur gut funktioniert, sondern auch beide Spaß daran haben und es vor allem dem Unternehmen einen Mehrwert bringt. Unterschiedliche Generationen können sich da gut ergänzen und voneinander lernen.
Bist du die erste weibliche Führungskraft? Wie steht es um das Thema „Frauen in der Führung“ bei euch?
Wir haben auch Kolleginnen in Führungspositionen, z.B. auf Bereichsleiterebene. Die Arbeit im gemischten Team ist einfach erfolgreicher. Die Geschäftsleitung ist aktuell zwar wie in den vorherigen Generationen tatsächlich nur männlich aufgestellt, im Gesamtunternehmen sind wir aber über 60 Prozent Frauen.
Welche Unternehmensthemen liegen dir besonders?
Ich liebe es, neue Ideen und Produkte mit Besonderheiten zu entdecken. Bald kommt z.B. ein Kopfkissen mit einer für NASA-Astronauten entwickelten Entspannungstechnologie ins Sortiment. Zunächst war ich zwar skeptisch – was soll man mit einem Kissen, das Musik abspielt? –, aber als ich es dann ausprobiert habe, war ich von der Wirkung der wissenschaftlich komponierten Klänge begeistert. Auch einfache und praktische Ideen für den Alltag, wie bspw. die Ladestation, die das Handy mit UV-Licht desinfiziert, finde ich cool. Gleichzeitig interessiere ich mich auch sehr für das Zahlenwerk und die Prozesse dahinter. Im Grunde ist es vor allem der ganzheitliche Blick auf das Unternehmen, das Zusammenspiel aller Faktoren, der mich begeistert.
Mit Net-a-Porter kennst du eine Arbeitswelt, die der im Familienunternehmen diametral gegenübersteht: jung, schnelllebig, extrem dynamisch, sehr international im kosmopoliten London. Hast du nie bereut, dich für die eher traditionellen Strukturen eines Familienunternehmens entschieden zu haben?
Es kann schon sein, dass ich tatsächlich noch in London wäre, wenn es das Familienunternehmen nicht gäbe. Aber nein, ich bin extrem froh, gerade in dieser Zeit hier in Aachen an der Seite meiner Familie und im Unternehmen zu sein. Gerade in diesen besonderen Zeiten ist es mir sehr wichtig, hier mitanzupacken. Ich hätte in diesem Jahr wirklich nirgendwo lieber gearbeitet!
Das Interview wurde geführt für den UnternehmerBrief 02/2020. Er ist Geschäftsführer der INTES Akademie für Familienunternehmen und verantwortet als Partner den Bereich Family Business Governance-Beratung bei PwC. Weitere NextGen-Interview findet Ihr hier.
Pro-Idee/Junghans Wolle
1950 gründete Ehrhard Junghans eine „Wollstube“ in Aachen. Daraus entwickelte sich einer der führenden Anbieter im Textil-Handarbeitsmarkt in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 1985 erweiterte Dieter Junghans in dritter Generation gemeinsam mit seinem Vater das Unternehmen durch die Gründung des Versenders Pro-Idee, der heute das Hauptstandbein der Unternehmensgruppe ist. Neben dem Pro-Idee- Concept-Store mit Produkten aus den Bereichen Design, Lifestyle, Home, Technik etc. gibt es weitere Sortimente für Wohnen und Heimtextilien, Küche, Wein, Fashion und Kunst. Mit Jessica Junghans ist 2020 ein Familienmitglied der vierten Generation in das Unternehmen eingestiegen, das von Dieter Junghans und dem langjährigen familienexternen Geschäftsführer Ulf Bergjohann geführt wird. Die Gruppe beschäftigt circa 600 Mitarbeiter.
NextGen: Jessica Junghans, 4. Gen.
Unternehmen: Pro-Idee GmbH & Co KG
Position: Leiterin Business-Development
Story: Ihr Einstieg im Familienunternehmen fiel mit dem Beginn der Corona-Pandemie zusammen. Da war erst mal Hands-on-Krisenmanagement gefragt.