Next Gen Interview: »Neue Akzente«

Vitra-CEO Nora Fehlbaum zieht das Großraumbüro einem eigenen Büro vor, um ihren Mitarbeitern möglichst nah zu sein. Die Erkenntnisse aus der Arbeitskultur bei Vitra, nutzt sie für die Entwicklung innovativer Bürokonzepte. Nora Fehlbaum über ihre Rollenfindung im Familienunternehmen und sich verändernde Arbeitsumgebungen.

 In­wie­weit ge­hör­te das Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men zu Ih­rer Kind­heit?

NORA FEHL­BAUM: Das Un­ter­neh­men war im­mer prä­sent zu Hau­se und Teil un­se­res Fa­mi­li­en­le­bens – vor al­lem in der Fa­mi­lie mei­nes Va­ters, der lan­ge Zeit das Un­ter­neh­men zu­sam­men mit sei­nem Bru­der ge­führt hat. Ich ken­ne bei­spiels­wei­se An­to­nio Cit­te­rio, ei­nen ita­lie­ni­schen Ar­chi­tek­ten und De­si­gner, seit­dem ich ein Schul­kind war. Heu­te ar­bei­ten wir zu­sam­men an der Ent­wick­lung neu­er Pro­duk­te.

Das Un­ter­neh­men war im­mer war im­mer prä­sent zu Hau­se und Teil un­se­res Fa­mi­li­en­le­bens.

War Ihr Weg ins Familienunternehmen vorgezeichnet?

Mein Weg ins Un­ter­neh­men war nicht vor­ge­ge­ben. Ich bin vor zehn Jah­ren kurz nach der letz­ten gro­ßen Kri­se zu Vi­tra ge­sto­ßen. Nach mei­nem MBA hat­te ich in ei­nem Be­ra­tungs­un­ter­neh­men ge­ar­bei­tet. Dies war si­cher­lich auch ei­ner der Grün­de, war­um ich ge­fragt wur­de, ob ich bei Vi­tra ein­stei­gen möch­te.

Welche Stationen haben Sie bei Vitra durchlaufen?

Ich habe zu Be­ginn eng mit un­se­rem da­ma­li­gen CEO, der kein Fa­mi­li­en­mit­glied war, zu­sam­men­ge­ar­bei­tet und so vie­le un­ter­schied­li­che Be­rei­che des Un­ter­neh­mens ken­nen­ge­lernt. Das war vor al­lem mit Blick auf mei­ne heu­ti­ge Funk­ti­on sehr hilf­reich.

Sie sind seit 2016 CEO der Firma. War Ihnen beim Einstieg ins Familienunternehmen im Jahr 2010 bereits klar, dass Sie einmal die Leitung von Vitra übernehmen würden?

Nein, das war nicht klar. Ich hat­te mich auch lan­ge nicht mit der Fra­ge aus­ein­an­der­ge­setzt, ob ich die Rol­le des CEO über­neh­men möch­te. Ich muss­te erst ein­mal ab­wä­gen, was dies für mei­ne ei­ge­ne Fa­mi­lie be­deu­tet.

Gibt es noch andere Familienmitglieder aus der jüngeren Generation, die für die Nachfolge infrage kamen?

Ich habe so­wohl Ge­schwis­ter als auch Cou­si­nen, die teil­wei­se deut­lich jün­ger als ich sind. Es ist also durch­aus mög­lich, dass wei­te­re Fa­mi­li­en­mit­glie­der aus der drit­ten Ge­ne­ra­ti­on eine ope­ra­ti­ve Rol­le bei Vi­tra über­neh­men wer­den. Bis­her bin ich die ein­zi­ge Ver­tre­te­rin der Fa­mi­lie in mei­ner Ge­ne­ra­ti­on.

Die Zei­ten ha­ben sich ge­än­dert und da­mit auch der Füh­rungs­stil.

Definieren Sie Ihre Rolle als Unternehmerin anders als die Vorgängergenerationen?

Die Zei­ten ha­ben sich ge­än­dert und da­mit auch der Füh­rungs­stil. Mein Groß­va­ter hat­te sei­nen ei­ge­nen „Flü­gel“ mit Büro, Vor­zim­mer und ei­ge­ner Toi­let­te. Mein On­kel und mein Va­ter hat­ten im­mer­hin noch ein ei­ge­nes Büro. Ich hin­ge­gen sit­ze zu­sam­men mit mei­nen Mit­ar­bei­tern in ei­nem Groß­raum­bü­ro. Da ich nor­ma­ler­wei­se sehr viel un­ter­wegs bin, ver­su­che ich die Zeit, die ich im Büro ver­brin­ge, zu nut­zen, um mich mög­lichst viel mit un­se­ren Mit­ar­bei­tern und Be­su­chern aus­zu­tau­schen. Das geht im Groß­raum­bü­ro bes­ser als in ei­nem ei­ge­nen Büro.

Welche Rolle spielt Ihr Onkel Rolf Fehlbaum heute noch bei unternehmerischen Entscheidungen und als Ratgeber?

Mein On­kel ist im Ver­wal­tungs­rat von Vi­tra. Scherz­haft sagt er ab und zu er ar­bei­te für mich und nennt sich mein Be­ra­ter. Tat­säch­lich schät­ze ich den Rat mei­nes On­kels sehr und bin froh, dass ich mich je­der­zeit an ihn wen­den kann.

Die drit­te Ge­ne­ra­ti­on hat sich zum Ziel ge­setzt, dass das Un­ter­neh­men ei­nen Bei­trag zum nach­hal­ti­gen Wirt­schaf­ten leis­tet.

Jede Generation setzt eigene Akzente. Gibt es eine Projektidee, die Ihnen besonders am Herzen liegt?

Die in­halt­li­chen Schwer­punk­te ver­än­dern sich von Ge­ne­ra­ti­on zu Ge­ne­ra­ti­on. Mein Groß­va­ter muss­te erst ein­mal das Fun­da­ment für ein kom­mer­zi­ell er­folg­rei­ches Un­ter­neh­men schaf­fen. Die zwei­te Ge­ne­ra­ti­on konn­te auf dem Er­folg auf­bau­en und hat eine kul­tu­rel­le Mis­si­on ver­folgt. Sie hat den Vi­tra Cam­pus ge­schaf­fen, mit sei­ner Ar­chi­tek­tur und dem Vi­tra De­sign Mu­se­um. Die drit­te Ge­ne­ra­ti­on, zu der ich ge­hö­re, kann auf der kul­tu­rel­len Mis­si­on auf­bau­en und hat sich zum Ziel ge­setzt, dass das Un­ter­neh­men ei­nen Bei­trag zum nach­hal­ti­gen Wirt­schaf­ten leis­tet. Für Vi­tra ist das ei­gent­lich nichts Neu­es, da die Pro­duk­te, die wir her­stel­len, sehr lang­le­big sind. Ab­ge­se­hen da­von, le­gen wir ge­ra­de ge­mein­sam mit dem nie­der­län­di­schen Land­schafts­ar­chi­tek­ten Piet Ou­dolf auf dem Vi­tra Cam­pus ei­nen Gar­ten mit 30.000 un­ter­schied­li­chen Pflan­zen an, der den Be­su­chern des Vi­tra Cam­pus und den Mit­ar­bei­tern zur Ver­fü­gung ste­hen wird.

Wo finden Sie im Alltag Inspiration für neue Designs?

Da­für gibt es nicht nur eine Quel­le. Was mir sehr wich­tig ist – und im Mo­ment auf­grund des Lock-downs auch fehlt, – ist die Per­spek­ti­ve von au­ßen durch den di­rek­ten Aus­tausch mit Ar­chi­tek­ten, De­si­gnern und mit un­se­ren Kun­den, den ich nor­ma­ler­wei­se auf mei­nen Rei­sen pfle­ge. Si­cher­lich kann man vie­les auch in Vi­deo­kon­fe­ren­zen be­spre­chen, aber ein per­sön­li­cher Aus­tausch ist doch of­fe­ner, vor al­lem beim ers­ten Ken­nen­ler­nen.

Wenn vie­le Un­ter­neh­men das Ar­bei­ten von zu Hau­se wei­ter­hin an­bie­ten, wird das die Ar­beits­welt enorm ver­än­dern.

Das Homeoffice hat durch die Corona-Krise einen ganz neuen Stellenwert erhalten. Wie wird sich die Arbeitsumgebung in den nächsten Jahren verändern und wie stellt sich Vitra darauf ein?

Aus ar­beits­or­ga­ni­sa­to­ri­scher Per­spek­ti­ve durch­lau­fen wir ge­ra­de ein sehr in­ter­es­san­tes Ex­pe­ri­ment: Der Lock-down hat ge­zeigt, dass Ho­me­of­fice viel bes­ser funk­tio­niert, als er­war­tet. Wir wer­den bei­spiels­wei­se un­se­ren Mit­ar­bei­tern – auch wenn die Kon­takt­be­schrän­kun­gen bald weg­fal­len soll­ten – wei­ter­hin Ho­me­of­fice an­bie­ten. Der Gang ins Büro je­den Mor­gen wird für die Mit­ar­bei­ter künf­tig also zu ei­ner be­wuss­ten Ent­schei­dung. Wenn vie­le Un­ter­neh­men das Ar­bei­ten von zu Hau­se wei­ter­hin an­bie­ten, wird das die Ar­beits­welt enorm ver­än­dern. Wir bei Vi­tra glau­ben dar­an, dass un­se­re Um­ge­bung ei­nen Ein­fluss dar­auf hat wie wir ar­bei­ten. Der Be­darf an Bü­ro­flä­che ins­ge­samt wird sich re­du­zie­ren, aber die Qua­li­tät der ver­blei­ben­den Bü­ro­flä­chen muss viel bes­ser wer­den, um Mit­ar­bei­ter zu mo­ti­vie­ren an dem Ort zu­sam­men­zu­kom­men, an dem die See­le des Un­ter­neh­mens, des­sen Zweck und die Kul­tur spür­bar wer­den. An­sons­ten droht ein lang­sa­mer Iden­ti­täts­ver­lust. Man lebt sich aus­ein­an­der, wie in ei­ner Dis­tanz­be­zie­hung.

Wir ge­hen da­von aus, dass ge­wis­se Ar­beits­for­men, die un­ter dem Co­ro­na-Lock-down ent­wi­ckelt wur­den, auch in der Post-Co­ro­na-Zeit Be­stand ha­ben wer­den.

Welche Rolle spielen Erfahrungen der Arbeitskultur aus Ihrem eigenen Unternehmen für die Weiterentwicklung von Büroeinrichtungskonzepten?

Die bes­ten Show­rooms sind un­se­re ei­ge­nen Bü­ros. Wir tes­ten dort neue Ide­en und Pro­duk­te, ak­tu­ell ge­ra­de die neu­en Post-Co­ro­na An­for­de­run­gen. Manch­mal in­ter­es­siert uns auch eine neue Funk­ti­on, eine Tech­no­lo­gie, ein Ma­te­ri­al oder eine neue Ar­beits­wei­se. Der­zeit den­ken wir viel über agi­les Ar­bei­ten nach. Dazu passt, die ak­tu­el­le Ent­wick­lung. Wir ge­hen da­von aus, dass ge­wis­se Ar­beits­for­men, die un­ter dem Co­ro­na-Lock-down ent­wi­ckelt wur­den, auch in der Post-Co­ro­na-Zeit Be­stand ha­ben wer­den. Frü­her oder spä­ter wer­den sich Un­ter­neh­mer mit den Ver­än­de­run­gen in ih­rem Un­ter­neh­men aus­ein­an­der­set­zen müs­sen. Das Büro ist oft der ers­te Ort, an dem kul­tu­rel­le Ver­än­de­run­gen sicht- und spür­bar wer­den. Zu dem The­ma wer­den wir im Ok­to­ber ei­nen di­gi­ta­len „Work Sum­mit“ ab­hal­ten. Wäh­rend zwei Ta­gen the­ma­ti­sie­ren wir die Ar­beits­welt von heu­te und mor­gen. Wir wer­den neue Kon­zep­te, Lö­sun­gen und Pro­duk­te für das Büro vor­stel­len. Mehr In­fos dazu fin­den Sie auf www.vi­tra.com/​work­sum­mit.

Wir kön­nen kei­nen Trends hin­ter­her­lau­fen, da­für sind un­se­re Pro­duk­te schlicht zu lang­le­big.

Wie geht Vitra mit dem Spannungsfeld von Bewahrung und Erneuerung um?

Der Pro­dukt­ent­wick­lungs­pro­zess soll au­then­tisch und kon­sis­tent blei­ben. Ei­ner­seits müs­sen wir un­se­re De­si­gn­klas­si­ker an die heu­ti­gen An­for­de­run­gen an­pas­sen, an­de­rer­seits ver­su­chen wir im­mer, den Wer­ten der ur­sprüng­li­chen In­ten­ti­on der De­si­gner ge­recht zu wer­den. Da­für ar­bei­ten wir sehr eng mit den Nach­fol­gern der De­si­gner zu­sam­men. Was bei uns nie eine Rol­le spielt, sind Mo­den. Wir kön­nen kei­nen Trends hin­ter­her­lau­fen, da­für sind un­se­re Pro­duk­te schlicht zu lang­le­big.

Das In­ter­view wurde geführt für den Un­ter­neh­mer­Brief 01/​2020.

Vi­tra AG

Vi­tra ist ein Schwei­zer Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men mit Haupt­sitz in Birs­fel­den. Der Leit­ge­dan­ke von Vi­tra ist es, mit be­deu­ten­den De­si­gnern in­no­va­ti­ve Pro­duk­te und Kon­zep­te zu ent­wer­fen. In der Schweiz ent­wi­ckelt, fin­den die­se Pro­duk­te welt­wei­te Ver­brei­tung. Ar­chi­tek­ten, Un­ter­neh­men und pri­va­te Nut­zer set­zen sie ein, um in­spi­rie­ren­de Ar­beits- und Wohn­räu­me so­wie öf­fent­li­che Be­rei­che zu schaf­fen. Die Ge­schich­te des Un­ter­neh­mens reicht 80 Jah­re zu­rück: 1950 über­nimmt Wil­li Fehl­baum ein La­den­bau­ge­schäft, das er ge­mein­sam mit sei­ner Ehe­frau Eri­ka zu ei­nem Mö­bel­bau-Un­ter­neh­men aus­baut. Nach ei­ner Ame­ri­ka-Rei­se be­ginnt das Ehe­paar 1957 Ent­wür­fe von dem De­si­gner-Ehe­paar Charles und Ray Ea­mes für den eu­ro­päi­schen Markt zu pro­du­zie­ren. In den fol­gen­den Jahr­zehn­ten fol­gen zahl­rei­che Ko­ope­ra­tio­nen mit nam­haf­ten De­si­gnern. Vi­tra ist in­ter­na­tio­nal tä­tig und hat Showräu­me von Frank­furt am Main bis New York. Am deut­schen Stand­ort in Weil am Rhein sind auf dem Vi­tra Cam­pus – ei­nem En­sem­ble von Ge­bäu­den zeit­ge­nös­si­scher Ar­chi­tek­tur – u.a. ein Teil der Pro­duk­ti­on, das Vi­tra De­sign Mu­se­um und das Vi­tra­Haus, der Flagships­to­re, un­ter­ge­bracht. Nora Fehl­baum lei­tet seit 2016 das Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men in drit­ter Ge­ne­ra­ti­on.

NextGen: Nora Fehlbaum, 3. Generation
Unternehmen: Vitra AG
Position: Chief Executive Officer und Director
Story: Nachdem sie bei verschiedenen internationalen Beratungsnternehmen gearbeitet hatte, begann sie 2010 bei Vitra, das sie mittlerweile führt.