Next Gen Interview: Von der Managerin zur Unternehmerin
Sie sind erst sehr spät ins Familienunternehmen eingetreten. Was prägte in Ihren Jugendjahren Ihr Verhältnis zum Unternehmen der Familie?
JULIA ESTERER: Meine Kindheit ist ohne die Firma verlaufen. Ich wurde extrem liberal erzogen, konnte mich völlig unabhängig entwickeln. Es gab bei uns zu Hause keine Geschichten aus der Firma beim Abendessen. Damals habe ich nicht einmal gewusst, womit das Unternehmen meines Vaters befasst ist. Meine Eltern haben nichts vorbestimmt, keinen Einfluss auf meinen Weg genommen.
Nach Ihrem BWL-Studium ging es zu BMW, dort waren Sie elf Jahre.
Ja, dieser Weg war eine tolle Schule. Ich bin schnell ins höhere Management aufgestiegen, hatte wachsende Verantwortung, wurde Marketingleiterin für Asien.
Gab es einen Impuls Ihres Vaters, das Thema Nachfolge aufzugreifen?
Als mein Vater sechzig wurde, hat er meinen Bruder und mich gefragt. Aber das ist gar nicht richtig bei mir angekommen. Damals war ich 28 Jahre alt, führte Mitarbeiter, hatte einen Chauffeur, Bedienstete im Haus, das ganze Programm als Expatriate. Mein Bruder hat auch abgewinkt …
Ich merkte: In den elf Jahren im Konzern habe ich kaum Menschen getroffen, die für mich Vorbilder waren.
War das erst mal das Ende der Nachfolgeplanung innerhalb der Familie?
Ja, mein Vater ging andere Wege an. Erst wollte er die Firma verkaufen, dann versuchte er es mit einem familienfremden Geschäftsführer. Beides führte nicht zum Erfolg.
Das ist ja nicht ganz das, was sich ein Familienunternehmer wünscht. Wie ging es weiter?
Im Jahr 2007 machte Vater einen neuen Anlauf. Wir waren gerade in Vietnam in den Ferien, da fragte er mich, ob ich jetzt wolle. Dieses Mal sagte ich »Ja«, weil ich bei BMW keine Zukunft für mich sah. Ich war unflexibel, abhängig von Strukturen, hatte trotz meiner avancierten Position wenig Freiräume für Entscheidungen. Ich war von Leuten umgeben, die ihr Fähnchen nach dem Wind drehten, die keine Verantwortung übernahmen für das, was sie tun. Ich merkte: In den elf Jahren habe ich kaum Menschen getroffen, die für mich Vorbilder waren. Das war das Signal, zu gehen.
Ein notwendiger Umweg in Ihre heutige Position?
Vielleicht. Ich merkte im Konzern: Zwar bin ich nicht zur Nachfolgerin erzogen worden, aber in meiner Familie bin ich eben doch mit unternehmerischen Werten groß geworden. Selbstständig sein, Freiräume ausschöpfen, Verantwortung tragen, das war mir wichtig.
Dann kam Ihr Start bei Esterer, das war im Jahr 2008. Wie gestaltete sich der?
Das Familienunternehmen war ein unbeschriebenes Blatt. Ich wusste nicht, worauf ich mich einlasse. Keiner hat mich zu INTES geschickt, ich war nie auf einem Nachfolgertraining. Deshalb haben Vater und ich gesagt: Wir vereinbaren ein Jahr auf Probe – für beide Seiten. Dann habe ich mit einem eigenen Projekt begonnen. Wir wollten gerade die schlanke Fließfertigung einführen. Dieses Vorhaben wurde mein Terrain, auf dem ich selbstständig walten konnte. Das war abgrenzbar, mein Vater und ich sind uns nicht ins Gehege gekommen und ich stand von Tag eins an für einen Wandel im Unternehmen. So habe ich unsere Produkte in kurzer Zeit kennengelernt – und beim Rest des Unternehmens habe ich erst einmal nur zugehört
Sie waren ja durch die Konzernkultur geprägt. Mussten Sie Führung neu lernen?
Es war eine Umstellung, die hat ein Jahr gedauert. Ich war raus aus der Großstruktur, aus dem internationalen Umfeld. Ich kam in einem Dorf in Nordhessen an, mit 5.500 Einwohnern, dem Hauptsitz von Esterer. Ich erlebte eine enorme Kollegialität, große Loyalität gegenüber dem Familienunternehmen, keine Konkurrenzkämpfe, eine gesunde Einstellung zur Arbeit, weniger Druck als im Konzern. Gleichzeitig aber auch große Zurückhaltung gegenüber allem, was neu ist, wenig Wettbewerbsgeist und die 35-Stunden-Woche auch bei Hochqualifizierten. Diese Kultur habe ich am Anfang nicht verstanden.
Wie haben Sie reingefunden?
Ich habe angefangen, mich coachen zu lassen, um meine Rolle zu reflektieren. Überdies habe ich in unserer Region einen Regionalkreis des BJU (Bundesverband Junger Unternehmer, Anm. d. Red.) aufgebaut, darüber den Austausch mit Gleichgesinnten gefunden. So habe ich mir Schritt für Schritt das Verständnis dafür geöffnet, was es bedeutet, ein Familienunternehmen zu führen. Als dann unser Probejahr zu Ende war, bin ich mit meinem Vater essen gegangen. Wir hatten ein sehr langes Gespräch. Wir haben uns in die Augen geschaut und beide »Ja« gesagt. Seit 2011 bin ich in der Geschäftsleitung.
Ihr Vater ist heute 74. Wie haben Sie sich die Führungs aufgaben aufgeteilt?
Wir haben keine getrennten Bereiche – aber jeder hat seine Schwerpunkte. Ich verantworte die operativen Themen, kümmere mich um Vertrieb, Produktion, Personal und Entwicklung, treibe die Veränderungen weiter voran. Mein Vater hat seinen Schwerpunkt im kaufmännischen Bereich. Alle strategischen Themen besprechen wir gemeinsam.
Wie geht der Stabwechsel weiter? Es wird Zeit für den nächsten Schritt. Deshalb arbeite ich wieder mit einem Coach zusammen. Ich spüre, dass ich es bald alleine machen will, ich bin im Unternehmen angekommen, gereift, selbstbewusst geworden. Der anstehende Stilwechsel ist greifbar. Mein Wirken steht für den Teamgedanken, für häufiges Feedback. Ich gehe mehr auf die Mitarbeiter ein, fordere aber klare Zielvereinbarungen. Ich stehe für den offenen Umgang mit Fehlern. Ich will das Geschäft in meinem Sinne weiterentwickeln – gleichzeitig aber verstehen, was mein Vater sich wünscht. Es wäre nicht richtig, ihn einfach abzuschneiden – er soll aus einer neuen Rolle heraus Beiträge leisten können. Die schwierigste Aufgabe steht also noch bevor.
Das Interview wurde geführt für den Unternehmerbrief 1/2016.
Dr.-Ing. Ulrich Esterer GmbH & Co. KG
Die Dr.-Ing. Ulrich Esterer GmbH & Co. KG, Helsa bei Kassel, wurde im Jahr 1955 gegründet. Das Unternehmen ist Spezialist für Tankfahrzeugaufbauten, 160 Mitarbeiter erwirtschaften einen Umsatz von 36 Mio. Euro. Julia Esterer (43) trat im Jahr 2008 in dritter Generation ins Familienunternehmen ein und ist seit 2011 Mitgeschäftsführerin. Ihr gehören 51 Prozent der Firmenanteile, den Rest halten ihre Eltern. Die Unternehmerin ist Mutter zweier Kinder.
Next Gen: Julia Esterer, 43 Jahre, Eintritt ins Familienunternehmen im Jahr 2008
Unternehmen: Dr.-Ing. Ulrich Esterer GmbH & Co. KG, Kassel, 40 Mio. EUR Jahresumsatz, 170 Mitarbeiter
Position: Geschäftsführende Gesellschafterin
Story: Nach der internationale Karriere beim Autobauer BMW zurück ins mittelständische Familienunternehmen