Besser denken

Wie unser Gehirn auf die digitale Überreizung reagiert, warum Multitasking ein Mythos ist und wie wir die Kreativitätskrise vermeiden. von Dr. Vol­ker Busch Stän­dig on­line. Stän­di­ges Mul­ti­tas­king. In der di­gi­ta­len Le­bens- und Ar­beits­welt ist un­ser Ge­hirn im Dau­er­ein­satz. Zu mehr Leis­tungs­fä­hig­keit und ei­nem bes­se­ren Out­put führt das al­ler­dings nicht. Die psy­cho­lo­gi­schen und neu­ro­wis­sen­schaft­li­chen Er­kennt­nis­se zu … Weiterlesen

Wie unser Gehirn auf die digitale Überreizung reagiert, warum Multitasking ein Mythos ist und wie wir die Kreativitätskrise vermeiden.

von Dr. Vol­ker Busch

Stän­dig on­line. Stän­di­ges Mul­ti­tas­king. In der di­gi­ta­len Le­bens- und Ar­beits­welt ist un­ser Ge­hirn im Dau­er­ein­satz. Zu mehr Leis­tungs­fä­hig­keit und ei­nem bes­se­ren Out­put führt das al­ler­dings nicht. Die psy­cho­lo­gi­schen und neu­ro­wis­sen­schaft­li­chen Er­kennt­nis­se zu den Aus­wir­kun­gen der Di­gi­ta­li­sie­rung auf mensch­li­che Ko­gni­ti­on, Krea­ti­vi­tät, Kon­zen­tra­ti­on und Kom­mu­ni­ka­ti­on sind re­la­tiv ein­deu­tig.

Die Ver­elen­dung der Kon­zen­tra­ti­on

Eine mensch­li­che Kern­kom­pe­tenz, die für die Be­wäl­ti­gung ei­ner be­son­ders schwie­ri­gen Auf­ga­be nö­tig ist, ist die Kon­zen­tra­ti­on. Von ihr sind an­de­re In­tel­li­genz­leis­tun­gen un­mit­tel­bar ab­hän­gig. Lei­der kommt sie uns heu­te be­son­ders leicht ab­han­den. Per­ma­nen­te Ab­len­kun­gen und eine un­ge­brems­te In­for­ma­ti­ons­flut un­ter­bre­chen un­ser Tun und stö­ren un­se­re Auf­merk­sam­keit.

Ein biss­chen ADHS ha­ben wir heu­te alle. Por­tio­nier­te Teil­auf­merk­sam­kei­ten füh­ren zu ei­ner Art men­ta­len Ver­schwom­men­heit, die Feh­ler und Un­acht­sam­keit pro­du­ziert. Im Stra­ßen­ver­kehr führt das nach­weis­lich zu zahl­rei­chen Un­fäl­len. Aber auch in Ar­beits­pro­zes­sen sor­gen per­ma­nen­te Un­ter­bre­chun­gen zu Leis­tungs­ein­bu­ßen und ei­nem er­höh­ten Maß an Stress.

Ziem­lich un­mög­li­che Gleich­zei­tig­keit

Wir neh­men heu­te gern „Gleich­zei­tig­keit“ für uns in An­spruch. Neu­ro­wis­sen­schaft­li­che Un­ter­su­chun­gen be­le­gen je­doch: Un­se­rem Ge­hirn ge­lingt eine ech­te Par­al­le­li­tät nur, wenn die Auf­ga­ben gänz­lich un­ter­schied­li­che Sin­nes­mo­da­li­tä­ten oder -qua­li­tä­ten in An­spruch neh­men. Bei­spiel: spa­zie­ren ge­hen und sich da­bei un­ter­hal­ten.

Zwei in­tel­lek­tu­el­le Din­ge las­sen sich kaum par­al­le­li­sie­ren. Also etwa zu­hö­ren, wäh­rend wir schrei­ben. Alle Vor­gän­ge, die ein ho­hes Maß an be­wuss­ter ko­gni­ti­ver Zu­wen­dung be­nö­ti­gen, müs­sen näm­lich den­sel­ben „Fla­schen­hals“ der Auf­merk­sam­keit pas­sie­ren. Mul­ti­tas­king be­deu­tet da­her stän­di­ges Um­schal­ten. Das kos­tet un­ser Ge­hirn (üb­ri­gens bei bei­den Ge­schlech­tern) viel Kraft und En­er­gie. Die „en­er­ge­ti­schen Rei­bungs­ver­lus­te“ füh­ren dazu, dass par­al­le­les Ar­bei­ten rund 30 Pro­zent län­ger dau­ert und etwa 20 Pro­zent mehr Feh­ler pro­du­ziert.

Krea­ti­vi­täts­kri­sen – oder: der flüch­ti­ge Ein­fall

Die Ge­dan­ken­flüs­sig­keit, die Ori­gi­na­li­tät von Ide­en, so­wie die Fä­hig­keit, ein­falls­rei­che Ide­en zu Ende zu den­ken, sind in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren flä­chen­de­ckend ge­sun­ken. Man spricht von ei­ner „Crea­ti­vi­ty Cri­sis“.

Zwar ist der geis­ti­ge Pro­zess des plötz­li­chen „Ein­falls“ nicht di­rekt ab­hän­gig von Kon­zen­tra­ti­on, je­doch des­sen kon­se­quen­te Wei­ter­ent­wick­lung. Die­ser As­pekt von Krea­ti­vi­tät wird mas­siv un­ter­schätzt. Vie­le Ide­en ver­san­den, wenn die Zeit für Kon­zen­tra­ti­on oder Dis­zi­plin fehlt, die­se wei­ter­zu­den­ken und letzt­lich kon­se­quent aus­zu­ar­bei­ten.

„Ge­hirn­ge­rech­tes Ar­bei­ten“ be­deu­tet, Räu­me und Mög­lich­kei­ten her­zu­stel­len, die das Ver­sin­ken in Tie­fe er­lau­ben: Die Auf­merk­sam­keit für ein paar Stun­den auf eine Sa­che ge­rich­tet zu las­sen ver­hin­dert Feh­ler und spart Zeit.

Für krea­ti­ve Ideen­ent­wick­lung sind ef­fek­ti­ve geis­ti­ge Pau­sen be­son­ders wert­voll. Ge­le­gent­lich ab­schwei­fen­de Ge­dan­ken ohne äu­ße­re Zwän­ge ei­nes ge­tak­te­ten Ter­min­ka­len­ders oder per­ma­nen­te Mee­tings kön­nen enorm be­flü­geln. Un­ter­neh­mer und Füh­rungs­kräf­te soll­ten klä­ren: Ha­ben die An­ge­stell­ten wirk­lich die Mög­lich­keit zur un­ge­stör­ten Auf­merk­sam­keit? Sit­zen sie in ru­hi­gen Bü­ros? Ha­ben sie die Mög­lich­keit, ihre Kon­zen­tra­ti­ons­fä­hig­keit durch ge­nü­gend Pau­sen zu re­stau­rie­ren? Ha­ben sie Ru­he­zei­ten, in de­nen Ge­dan­ken si­ckern und ver­knüpft wer­den kön­nen?

Selbst­ver­ständ­lich liegt die Ver­ant­wor­tung für güns­ti­ge Ar­beits­pro­zes­se und Stress­re­duk­ti­on auch bei je­dem Ein­zel­nen. Hier schär­fen ehr­li­che Fra­gen das ei­ge­ne Be­wusst­sein: Wo schie­be ich Din­ge auf oder fan­ge sie von vor­ne an, weil ich mich häu­fig ab­len­ken las­se? Wo schweift mei­ne Kon­zen­tra­ti­on re­gel­mä­ßig ab? Was sind mei­ne größ­ten Un­ter­bre­cher? Wie kann ich sie eli­mi­nie­ren? Und blei­be ober­fläch­lich, statt mich in ei­ner Sa­che zu ver­tie­fen und sie zu Ende zu brin­gen?

Ihre tie­fe Stun­de

Die All­tags­zwän­ge las­sen sich na­tür­lich nicht so ein­fach ab­le­gen. Aber wie könn­te ein Kom­pro­miss zwi­schen den Not­wen­dig­kei­ten ei­nes reiz­durch­flu­te­ten und hek­ti­schen di­gi­ta­len All­tags und ei­ner sinn­vol­len Be­rück­sich­ti­gung von Tie­fe aus­se­hen?

Neh­men Sie sich für die wich­tigs­te Sa­che des Ta­ges eine Stun­de Zeit, in der Sie sich voll und ganz, ohne äu­ße­re Ab­len­kung, auf die­se kon­zen­trie­ren. Tei­len Sie Ih­ren Kol­le­gen mit, dass Sie in die­ser Stun­de kei­ne An­ru­fe ent­ge­gen­neh­men und un­ge­stört an ei­ner Sa­che ar­bei­ten. Die Stun­de ge­hört nur Ih­nen und die­ser Auf­ga­be. Es ist Ihre Ei­gen­zeit, in der Sie den wun­der­ba­ren Zu­stand ge­nie­ßen dür­fen, der sich ein­stellt, wenn Ihr Ge­hirn tief in et­was ver­sinkt.

Nut­zen Sie vor­zugs­wei­se jene Ta­ges­zeit, in der Sie geis­tig am leis­tungs­fä­higs­ten sind. In die­se Zeit soll­ten Sie das le­gen, was be­son­ders wich­tig ist, was Ihre be­ruf­li­che Kern­kom­pe­tenz oder Ex­per­ti­se aus­macht und was de­fi­ni­tiv kei­ne Feh­ler er­laubt.

An­fäng­li­che Ir­ri­ta­tio­nen ge­hö­ren zum Spiel. Neue Ge­wohn­heits­bil­dung for­dert zu­nächst Ak­ti­vie­rungs­en­er­gie. Der größ­te Feind der Ver­hal­tens­än­de­rung blei­ben Sie selbst. Las­sen Sie sich nicht ent­mu­ti­gen. Mit et­was Übung und de­mü­ti­ger Ge­duld wer­den Sie die tie­fe Stun­de in Ih­ren Ar­beits­all­tag in­te­grie­ren. Dann wird sie zu ei­nem ver­läss­li­chen Ru­he­pol im schnell­le­bi­gen und di­gi­ta­len Ar­beits­all­tag, in der Sie ein ho­hes Maß an Peak-Per­for­mance zu­rück­ge­win­nen kön­nen. Da­durch steigt – das ist wis­sen­schaft­lich be­legt – dann auch Ihre Ar­beits­zu­frie­den­heit.

Ohne Ruhe, kei­ne Höchst­leis­tung

Un­ser Ge­hirn braucht auch Pha­sen der Ruhe. Das pas­siert größ­ten­teils nachts. Je­doch hat der durch­schnitt­li­che Bun­des­bür­ger in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren sei­ne Schla­fens­zeit um rund 30 Mi­nu­ten re­du­ziert. Me­dia­ler Dau­er­kon­sum und Reiz­flut hal­ten das Ge­hirn heu­te in ei­nem 24/​7-Rhyth­mus und da­mit in Dau­er­span­nung. Ruhe oder Muße wäh­rend des Ta­ges kom­men ge­ra­de ak­ti­ven Un­ter­neh­mern in Zei­ten ma­xi­ma­ler Ef­fi­zi­enz über­holt vor. Auch un­se­re Frei­zeit ist ge­prägt von per­ma­nen­ter Selbst­op­ti­mie­rung. Die Ma­xi­me, bei al­lem, was wir tun, lau­tet: Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­rung und Leis­tungs­ver­bes­se­rung. Da­bei pflegt eine Frei­zeit­ge­stal­tung ohne Leis­tungs­druck oder den stän­di­gen Wunsch nach Op­ti­mie­rung und Ef­fi­zi­enz un­ser stra­pa­zier­tes Ge­hirn auf eine be­son­ders ef­fek­ti­ve Wei­se. Das Er­geb­nis ist eine wis­sen­schaft­lich er­wie­se­ne hö­he­re Leis­tung und eine nach­weis­li­che Stres­s­ent­las­tung.

Dass hohe Ak­ti­vi­tät im­mer zu ho­her Leis­tungs­fä­hig­keit führt, ist ein My­thos. Ge­ra­de in Zei­ten ho­her Ar­beits­ver­dich­tung sind Ru­he­pha­sen un­um­gäng­lich. Ruhe meint da­bei nicht zwangs­läu­fig „nichts tun“. Sie ent­steht eben­so ef­fek­tiv durch Fo­kus­sie­rung auf eine Tä­tig­keit, in der man geis­tig in Tie­fe ver­sinkt. Ent­span­nung funk­tio­niert be­son­ders ef­fek­tiv, wenn Sie sie sich auf eine Sa­che kon­zen­trie­ren. Je mehr wir uns un­ge­stört ei­ner Sa­che hin­ge­ben und in ihr auf­ge­hen, des­to er­hol­sa­mer ist der Ef­fekt.

Die di­gi­ta­le Welt ist zwei­fels­oh­ne fas­zi­nie­rend. Aber vie­le der neu­en Er­run­gen­schaf­ten wer­den mit ge­ra­de­zu fre­ne­ti­scher Be­geis­te­rung ge­fei­ert, ohne die Be­schaf­fen­heit und Funk­ti­ons­wei­sen des wich­tigs­ten Teils der mensch­li­chen Hard­ware zu be­rück­sich­ti­gen, des mensch­li­chen Ge­hirns.

DER AU­TOR

Priv.-Doz. Dr. med. ha­bil. Vol­ker Busch ist Fach­arzt für Neu­ro­lo­gie an der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Psych­ia­trie und Psy­cho­the­ra­pie in Re­gens­burg und ein lei­den­schaft­li­cher Re­fe­rent zum The­ma „Wie un­ser Ge­hirn auf die Di­gi­ta­li­sie­rung re­agiert“.

Wei­te­re In­fos un­ter www.drvol­ker­busch.de.

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