Die Dinge vom Ende her denken

ÜBER­NEH­MEN STATT NACH­FOL­GEN. WAR­UM ES HÖCHS­TE ZEIT IST, DIE NACH­FOL­GE VOM NACH­FOL­GER HER ZU DEN­KEN. von Kars­ten Schween* In ei­ner Viel­zahl von Nach­fol­ge­pro­zes­sen steht am An­fang ex­pli­zit oder zu­min­dest im­pli­zit die Fra­ge im Raum, ob der oder die Nach­fol­ger ge­eig­net sind für die ih­nen zu­ge­dach­te Ziel­rol­le im Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men. Die­se wird meist de­fi­niert aus ei­ner Mi­schung … Weiterlesen

ÜBER­NEH­MEN STATT NACH­FOL­GEN. WAR­UM ES HÖCHS­TE ZEIT IST, DIE NACH­FOL­GE VOM NACH­FOL­GER HER ZU DEN­KEN.

von Kars­ten Schween*

In ei­ner Viel­zahl von Nach­fol­ge­pro­zes­sen steht am An­fang ex­pli­zit oder zu­min­dest im­pli­zit die Fra­ge im Raum, ob der oder die Nach­fol­ger ge­eig­net sind für die ih­nen zu­ge­dach­te Ziel­rol­le im Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men. Die­se wird meist de­fi­niert aus ei­ner Mi­schung von or­ga­ni­sa­to­ri­schen Ge­ge­ben­hei­ten, der Art und Wei­se, wie der Über­ge­ben­de sei­ne Rol­le im Lau­fe sei­ner Tä­tig­keit aus­ge­formt hat und ei­ner Rei­he von ge­wach­se­nen, im­pli­zi­ten An­nah­men, was ei­nen gu­ten Un­ter­neh­mer aus­macht. Der Ein­ar­bei­tungs- und Lern­pro­zess folgt auch heu­te noch oft dem Ge­dan­ken, dass man „sich sei­ne Spo­ren erst­mal ver­die­nen muss“, und ist da­her häu­fig un­struk­tu­riert und zeit­lich nicht klar ter­mi­niert. Kurz ge­sagt: Es wer­den Un­ter­neh­mer ge­sucht, aber es wird Un­ter­wer­fung er­war­tet. Man möch­te Füh­rung se­hen, schafft aber kei­ne kla­ren Rol­len. Die Fir­ma soll wei­ter­ent­wi­ckelt wer­den, aber Stra­te­gie und Or­ga­ni­sa­ti­on dür­fen nicht grund­sätz­lich hin­ter­fragt wer­den. Es wird ein­sei­ti­ges Com­mit­ment des Nach­fol­gers ein­ge­for­dert ohne kla­re Mei­len­stei­ne und Ziel­schie­ne für die Überg­a­be sei­tens des Über­ge­ben­den.

Es wer­den Un­ter­neh­mer ge­sucht, aber es wird Un­ter­wer­fung er­war­tet.

Nun ge­sche­hen die­se Din­ge we­der aus Bos­haf­tig­keit noch aus In­kom­pe­tenz – in der Re­gel sind die Be­tei­lig­ten er­fah­ren, in­tel­li­gent und wün­schen sich alle ei­nen gu­ten Aus­gang des Überg­a­be­pro­zes­ses. Viel­mehr sind es un­aus­ge­spro­che­ne An­nah­men und eine Viel­zahl psy­cho­lo­gi­scher Pro­zes­se, die die gu­ten Ab­sich­ten von An­fang an kon­ter­ka­rie­ren. Hier nur ei­ni­ge Bei­spie­le:

  • Verzerrte Rückschau: Familienunternehmer leiden wie alle anderen Menschen auch unter selektiver Wahrnehmung – man verdrängt häufig Fehler und überhöht positive Erinnerungen; deshalb ist es auch ex post deutlich einfacher, die Erfolgsgeschichte der eigenen Firma zu erzählen, als ex ante die Strategie für die Zukunft zu beschreiben.
  • Der Pawlow’sche Hund: Wenn man mit bestimmten Verhaltensweisen in der Vergangenheit Erfolg hatte, so werden diese für einen selbst leicht zu unumstößlichen Glaubenssätzen und Erfolgsrezepten für die Zukunft – obwohl sie vielleicht in der Welt von heute oder morgen kontraproduktiv sind.
  • Illusion der Neutralität: Es ist häufig eine Illusion zu glauben, man könne als Familienunternehmer seine Führungskräfte oder gar seine eigenen Kinder neutral beurteilen und würde große Freiräume ermöglichen; stattdessen ist man Teil eines Systems – und so beeinflusst das eigene Handeln auch die Personen um einen herum. Nicht selten wachsen daher unter großen Bäumen Pilze und bei Personalentscheidungen dominiert das Prinzip der Selbstähnlichkeit.
  • Unterschätzter Zeitbedarf: Lernen bei Erwachsenen dauert lange und es wird häufig unterschätzt, dass das „Ent-Lernen“ von Fähigkeiten und Verhaltensmustern genauso lange dauern kann wie das „Er-Lernen“ dieser Dinge. Typischerweise brauchen Übergebender und Übernehmender sechs bis acht Jahre, bis dieser Prozess abgeschlossen ist.
  • Umgang mit Komplexität: Beherrschung und Begrenzung der Komplexität von Geschäften und Organisationen waren durch klare, patriarchalische Führungsstile möglich. Heute ist Begrenzung meist nicht mehr möglich oder wünschenswert und es geht vielmehr um den richtigen Umgang mit einer sich weiter beschleunigenden Komplexität auf allen Dimensionen – und dies kann letztlich nur noch in exzellenten Teams gelingen, die auf Sicht fahren und sich immer wieder neu und flexibel ausrichten.

Da­ni­el Kah­ne­mann – sei­nes Zei­chens Psy­cho­lo­ge und Wirt­schafts­no­bel­preis­trä­ger – be­schreibt die­se und vie­le wei­te­re re­le­van­te Pro­zes­se in un­se­rem Kopf in sei­nem wun­der­ba­ren Buch „Schnel­les Den­ken, lang­sa­mes Den­ken“ ein­gän­gig – ich emp­feh­le es je­dem Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mer als Lek­tü­re. Denn mehr lang­sa­mes, re­flek­tier­tes Den­ken bei der  Nach­fol­ge­ge­stal­tung und we­ni­ger schnel­les, im­puls­ge­steu­er­tes, ver­zerr­tes Den­ken ist wich­tig bei ei­ner er­folg­rei­chen Ge­stal­tung sei­ner Nach­fol­ge.

Wenn das nun al­les so schwie­rig ist, wie könn­te dann ein bes­se­rer Grund­an­satz zur Ge­stal­tung der Nach­fol­ge aus­se­hen? Ähn­lich wie eine Un­ter­neh­mens­stra­te­gie als Ex­tra­po­la­ti­on der Ver­gan­gen­heit in die Zu­kunft heu­te nicht mehr funk­tio­niert, muss sich auch die Ge­stal­tung von Nach­fol­ge­pro­zes­sen grund­le­gend wan­deln. Dies ist auch des­halb der Fall, weil die bes­ten Un­ter­neh­mer in der Fol­ge­ge­ne­ra­ti­on heu­te vie­le Al­ter­na­ti­ven ha­ben und es für sie schwer vor­stell­bar ist, früh und mit be­grenz­ter In­for­ma­ti­on Le­bens­ent­schei­dun­gen zu tref­fen.

Statt des klas­si­schen evo­lu­to­ri­schen Denk­pro­zes­ses – also der Ex­tra­po­la­ti­on der Ver­gan­gen­heit in die Zu­kunft – emp­feh­le ich drin­gend, bei der Ge­stal­tung von Nach­fol­ge­pro­zes­sen vom Ende her zu be­gin­nen. Aus­gangs­punk­te sind dann zum ei­nen die Per­sön­lich­keit so­wie die Prä­fe­ren­zen und Fä­hig­kei­ten des oder der Über­neh­men­den und zum an­de­ren der nächs­te stra­te­gisch sta­bi­le und er­folg­rei­che Ziel­zu­stand für das Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men nach er­folg­ter Überg­a­be in fünf oder zehn Jah­ren.

Es ist wich­tig, der nach­fol­gen­den Ge­ne­ra­ti­on zu hel­fen, ihre ei­ge­ne Hal­tung zum Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men zu ent­wi­ckeln, Rol­len und Or­ga­ni­sa­ti­on auf ihre Fä­hig­kei­ten und Prä­fe­ren­zen zu­zu­schnei­den (und nicht um­ge­kehrt) und sie ak­tiv zu er­mun­tern, au­ßer­halb des „Ko­kons“ des Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mens Füh­rungs­er­fah­rung zu sam­meln.

Für das Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men gilt es, Nach­fol­ge­pro­zes­se auch als Chan­ce für po­si­ti­ve Ver­än­de­rung zu se­hen und nicht nur als Ri­si­ko. Der Ein­tritt ei­ner neu­en Ge­ne­ra­ti­on von Fa­mi­li­en­mit­glie­dern ist die idea­le Ge­le­gen­heit, alte Zöp­fe in punc­to Stra­te­gie, Or­ga­ni­sa­ti­on, Pro­zes­se oder Tech­no­lo­gie ab­zu­schnei­den und durch neue, zu­kunfts­wei­sen­de Kon­zep­te zu er­set­zen.

Den Über­ge­ben­den sei ge­ra­ten, der nächs­ten Ge­ne­ra­ti­on Zeit und Frei­heits­gra­de beim An­gang ih­rer un­ter­neh­me­ri­schen Ge­stal­tungs­auf­ga­be zu ge­ben. Gute Rat­schlä­ge sind dann hilf­reich, wenn sie ak­tiv ein­ge­for­dert wer­den, aber man­che Feh­ler muss man halt auch selbst ma­chen dür­fen. Ge­ra­de die Über­ge­ben­den, die un­ter­neh­me­ri­sches Ver­mö­gen wirk­lich als ge­lie­he­nes Ver­mö­gen nach­fol­gen­der Ge­ne­ra­tio­nen se­hen, wer­den – bei lang­sa­mem Den­ken im Kah­ne­man­n’­schen Sin­ne – zu der Er­kennt­nis kom­men, dass es hilft, Nach­fol­ge­pro­zes­se vom Ende her zu den­ken.

Dr. Karsten Schween ist lang­jäh­ri­ger Bei­rat und Be­ra­ter von In­ha­bern und Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men. Er ist Netz­werk­part­ner der IN­TES Aka­de­mie für Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men.

Nächs­tes IN­TES Se­mi­nar mit Dr. Kars­ten Schween: „Von der Füh­rung zur Kon­trol­le“ am 26. Ok­to­ber 2020 in Dort­mund.

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