02.09.2024 - Highlight, Nachfolge, News, Publikationen
Keine Oberkontrolleure, keine Reinregierer
Keine Oberkontrolleure, keine Reinregierer Wann bringen ein Beirat oder ein Aufsichtsrat einen echten Mehrwert für das Unternehmen? In der Praxis zeigt sich: Sie müssen gut konzipiert und optimal besetzt sein. Vor allem aber dürfen sie im Aufgabenmix ihren Fokus nicht verlieren. von Sabine Strick Beiräte, Aufsichtsräte oder Verwaltungsräte in Familienunternehmen gibt es in allen Formen … Weiterlesen
Keine Oberkontrolleure, keine Reinregierer
Wann bringen ein Beirat oder ein Aufsichtsrat einen echten Mehrwert für das Unternehmen? In der Praxis zeigt sich: Sie müssen gut konzipiert und optimal besetzt sein. Vor allem aber dürfen sie im Aufgabenmix ihren Fokus nicht verlieren.
von Sabine Strick
Beiräte, Aufsichtsräte oder Verwaltungsräte in Familienunternehmen gibt es in allen Formen und Farben. Von freiwillig eingerichtet und rein beratend bis zu gesetzlich verpflichtend und kontrollierend. Von familiendominiert bis zu komplett extern besetzt. Vom Modell „teurer Zeitfresser“ und „zahnloser Tiger“ bis hin zu „wertvoller Sparringspartner“ und „professioneller Impulsgeber“.
Beratend oder entscheidend?
Aber was macht hier den Unterschied aus? Welche Faktoren bestimmen, ob der Beirat einen echten Mehrwert bringt? Eine Vermutung könnte sein: Je bindender ein Beirat ist, je weitreichender die Kontrollrechte, desto ernster wird er genommen, desto professioneller wirkt er. Die Praktiker sagen: Nein. Nach Meinung der beiden Multi-Aufsichtsräte Astrid Hamker und Thomas Hinderer, die vom vollumfänglich kontrollierenden Aufsichtsrat einer AG bis hin zum informellen Beratungsgremium schon in vielen verschiedenen Gremien in Familienunternehmen gearbeitet haben, gibt es keine Korrelation zwischen Art und Umfang der Kontrollrechte auf der einen und der Performance auf der anderen Seite.
„Sie müssen besonders als Beirats- oder Aufsichtsratsvorsitzender dafür sorgen, dass neben der Erfüllung der Kontrollaufgabe genug Zeit in den Sitzungen bleibt, um vor allem zukunftsgerichtete Strategiethemen zu erörtern.“
Astrid Hamker, Multi-Beirätin/Aufsichtsrätin
„Beide Arten von Gremien können sehr professionell sein und einen hohen Mehrwert für das Unternehmen schaffen“, sagt Astrid Hamker. Entscheidend sei aber, dass sich das Gremium nicht im Klein-Klein verliere. „Sie müssen besonders als Beirats- oder Aufsichtsratsvorsitzender dafür sorgen, dass neben der Erfüllung der Kontrollaufgabe genug Zeit in den Sitzungen bleibt, um vor allem zukunftsgerichtete Strategiethemen zu erörtern“, erklärt sie. Astrid Hamker ist Gesellschafterin und Beirätin im eigenen Familienunternehmen, der Piepenbrock-Gruppe, aber auch in anderen Familienunternehmen (z.B. Drägerwerk, Schmitz Cargobull, Seier, Felix Schoeller Gruppe, Tengelmann ab 2021). Als praktikabel habe sich für sie erwiesen, die Sitzungsagenda so zu gestalten, dass bspw. vergangenheitsbezogene Analysen am Vormittag stattfinden und zukunftsbezogene Themen, wie z.B. die Weiterentwicklung der Organisation oder Personalentscheidungen, in der zweiten Tageshälfte terminiert werden.
Leadership und Teamgeist
Das bestätigt auch Thomas Hinderer. Entscheidend für eine effektive Beiratsarbeit sei aber vor allem, dass der persönliche und kulturelle Fit der Beirats-/Aufsichtsratsmitglieder untereinander stimme. Eine gewisse Homogenität sei dazu notwendig: „Natürlich müssen die Beiratsmitglieder nicht einer Meinung ein, aber sie müssen eine gute Beziehung zueinander aufbauen und das gleiche Verständnis eines offenen und konstruktiven Umgangs miteinander haben“, erläutert Hinderer. Empathie, soziale Kompetenz, Teamgeist – all das brauche es auch zwingend in einem guten Beirat. Thomas Hinderer, der bis Mitte 2020 CEO bei Eckes-Granini war, ist aktuell u.a. Aufsichtsratsvorsitzender bei Apetitio, Beiratsvorsitzender bei Erco, Verwaltungsratsmitglied bei Bellfood und Aufsichtsratsmitglied bei der Hochland SE. „Um gute Arbeit zu leisten, muss sich der Beirat als Team verstehen und abgestimmt agieren,“ so die Erfahrung von Uwe Rittmann, Leiter Familienunternehmen und Mittelstand bei PwC und selbst Beirat im Familienunternehmen Stahlwille.
„Ein Beirat sollte ein konstruktiver Sparringspartner für die Geschäftsführung sein. Oft passiert aber genau das Gegenteil, beobachtet Dr. Frank Mathias, CEO beim Familienunternehmen Rentschler Biopharma. Neben seiner CEO-Tätigkeit hält er aktuell mehrere Aufsichtsrats-/Beiratsmandate, u.a. als Vorsitzender des Beirats der August Faller Gruppe und als Mitglied des Aufsichtsrats der Medigene AG und der Leukocare AG.
Torsten Wywiol, geschäftsführender Gesellschafter der Hamburger Stern-Wywiol-Gruppe, findet es gut, einen kontrollierenden Beirat zu haben. Die Gesellschafterfamilie hat vor 16 Jahren einen Beirat eingerichtet und diesen später vom rein beratenden Gremium zum kontrollierenden Gremium ausgebaut. „Der Beirat hat in jedem Fall unsere Professionalität erhöht“, erläutert Torsten Wywiol einen der Vorteile. Vor allem das Bereitstellen eines aussagekräftigen Reportings für den Beirat würde ihn als Geschäftsführer im positiven Sinn fordern: „Man hinterfragt die eigenen Entscheidungen in einer anderen Tiefe.“ Es sei gut und richtig, dass auch er als Eigentümer gezwungen sei, seine Geschäftsentscheidungen und Investitionspläne vor einem kompetent besetzten Gremium transparent erklären zu müssen. Bei Stern-Wywiol stimmt der Beirat u.a. der Budgetplanung zu und muss bei Investitionsentscheidungen einer gewissen Größenordnung angehört werden.
Menschen kennenlernen
Alle vier sind sich einig, dass gute Beiratsarbeit nicht nur innerhalb der Sitzungsräume stattfinden sollte, sondern auch außerhalb. Thomas Hinderer erklärt: „Beiratsmitglieder müssen in der Lage sein, Beziehungen untereinander und vor allem auch zum Management aufzubauen. Erst dann entsteht die Art von Dialog, die es braucht.“ Diese Fähigkeit sei für die Performance genauso wichtig wie die fachliche Kompetenz der einzelnen Mitglieder, findet Hinderer. Dazu seien auch Gespräche außerhalb der Sitzungen nötig.
„Als Beirats- oder Aufsichtsratsvorsitzender tausche ich mich alle zwei Wochen mit der Geschäftsführung aus“, sagt Frank Mathias. Wie intensiv sich Beiräte oder Aufsichtsräte außerhalb der Sitzungen mit dem Unternehmen beschäftigen, wird in der Praxis sehr unterschiedlich gelebt. Klar ist, dass besonders am Anfang ein gutes Onboarding entscheidend ist. „Ein neues Beiratsmitglied sollte relativ schnell die wichtigsten Unternehmensstandorte und die führenden Mitarbeiter kennenlernen“, erklärt Torsten Wywiol.
Astrid Hamker betont: „Mir ist es in meinen Mandaten extrem wichtig, auch die zweite Führungsebene kennenzulernen.“ Einige Beiräte/Aufsichtsräte würden sich lediglich mit der Geschäftsführung auseinandersetzen, dabei seien genau diese wenigen Personen oft der Flaschenhals im Unternehmen. Im Falle unvorhergesehener Ereignisse komme es ja gerade dem Beirat zu, schnell die richtigen Personalentscheidungen mitzutreffen bzw. mitzutragen. „Dazu muss ich aber wissen, welche guten Leute auf welchen Positionen im Unternehmen arbeiten“, erklärt Astrid Hamker.
Reporting ist das A und O
Ob Beirat und Geschäftsführung eine gemeinsame Sprache entwickeln,hängt wesentlich von einem transparenten Reporting ab. „Sie brauchen zwingend ein gemeinsames Verständnis dessen, wie Performance gemessen und bewertet wird und welche die strategischen Leistungskennzahlen sind, die sich idealerweise aus der Familienverfassung oder den Gesellschafterleitlinien ableiten“, erklärt Thomas Hinderer. Das helfe beiden Seiten. Dann habe der Vorstand nicht den Eindruck, dass er vom Beirat willkürlich beurteilt werde, und der Beirat habe eine Grundlage für objektive Bewertungen.
„Der Beirat braucht unter Umständen andere KPIs, als sie die Geschäftsführung anfangs zur Verfügung stellt. Sich auf die wesentlichen Leistungskennzahlen zu verständigen und ein Reporting zu entwickeln, das für den Beirat die richtige Balance zwischen Detailtiefe und Überblick enthält, ist meist ein iterativer Prozess.“
Dr. Frank Matthias, CEO bei Rentschler Biopharma und Beirat in anderen Unternehmen
„Der Beirat braucht unter Umständen andere KPIs, als sie die Geschäftsführung anfangs zur Verfügung stellt“, hat Frank Mathias in der Praxis erlebt. Sich auf die wesentlichen Leistungskennzahlen zu verständigen und ein Reporting zu entwickeln, das für den Beirat die richtige Balance zwischen Detailtiefe und Überblick enthält, sei meist ein iterativer Prozess.
Beim Reporting sei es wichtig, die richtige Flughöhe zu haben, findet Astrid Hamker. Beiräte seien schließlich keine Co-Geschäftsführer und bräuchten somit auch nicht die gleiche Detailtiefe. In ihren Mandaten wirkt sie darauf hin, die Management-Informationssysteme in dieser Hinsicht weiterzuentwickeln. Die für die Beiratsarbeit relevanten Kennzahlen seien dabei je nach Branche extrem unterschiedlich. „Was ich mir aber überall gern anschaue, ist der Plan-Ist-Vergleich. Das kann z.B. bei der Beurteilung der Frage, ob das Management grundsätzlich zu konservativ plant, interessant sein“, so Hamker.
Welcher Kompetenzmix?
Für den Erfolg entscheidend ist sicherlich auch ein guter Kompetenzmix im Gremium. Beiräte und Aufsichtsräte werden heute weitaus professioneller besetzt als noch vor einigen Jahren. Juristen, Bänker, Politiker oder Steuerberater machen immer öfter Unternehmern, aktiven CEOs und Digitalexperten Platz. Klar ist mittlerweile allen, dass die Mitglieder des Gremiums komplementäre Kompetenzen mitbringen sollten. Der richtige Mix macht ein gutes Gremium. Welchen Kompetenzmix es genau braucht, hängt natürlich immer vom jeweiligen Geschäftsmodell ab. Aber sollte im Jahr 2021 nicht jedes Gremium auch einen jungen Querdenker oder digitalen Transformator haben? Schließlich muss Digitalisierung doch Chefsache sein. Im Unternehmen, also auch im Beirat? Nicht zwingend, findet Astrid Hamker: „In Unternehmen, die in ihrem Geschäftsmodell bedroht sind und sich neu erfinden müssen, um zu überleben, mag das sinnvoll sein. In allen anderen Unternehmen sind andere Kompetenzen womöglich wichtiger.“ Frank Mathias erklärt: „Der notwendige Kompetenzmix im Gremium sollte sich immer aus der Unternehmensstrategie ergeben.“ Wenn die sich ändere, könne das durchaus zur Folge haben, dass sich auch die Zusammensetzung des Beirats ändern müsse. Für ihn gehören deshalb regelmäßige Evaluationen der Beiratsarbeit im Zweijahresrhytmus zu einer professionellen Gremienarbeit dazu.
Nicht ins Operative eingreifen
Wichtiger als digitales Detailwissen seien ein möglichst breiter Erfahrungshintergrund und vor allem eine nachgewiesene Führungskompetenz,findet Thomas Hinderer. „Wer schon in vorherigen Positionen bewiesen hat, dass er Unternehmen einer bestimmten Größenordnung erfolgreich führen kann, Menschen begeistern und hinter sich bringen kann, begegnet der Geschäftsführung eher auf Augenhöhe.“ Dabei ist ihm wichtig, dass nicht der Eindruck entstehen darf, der Beirat wisse alles besser und wolle in operative Themen permanent hineinregieren. „Das ist oft nur eine Frage der Flughöhe und wie Sie etwas formulieren. Sprache und Respekt machen einen wesentlichen Unterschied zwischen guter und schlechter Beiratsarbeit“, betont Hinderer. Frank Mathias bestätigt „Nichts ist schädlicher als ein Beirat, der sich detailliert mit operativen Fragen beschäftigt. Da kommt es immer zu Dissonanzen.“
Blick nach vorn statt nach hinten
Unisono sind die für diesen Artikel befragten Unternehmer und Beiräte/Aufsichtsräte der Meinung, dass das Gremium vor allem dann einen Mehrwert bringt, wenn es stärker um die Zukunftsperspektiven als um eine Rückschau geht. Bei aller Bedeutung, die z.B. auch der Blick des Beirats auf den Jahresabschluss hat, sollte die Strategiearbeit im Fokus stehen – oder um es mit den Worten von Torsten Wywiol zu sagen: „Bei uns geht es im Beirat vor allem um eins: Zukunft! Zukunft! Zukunft!“
Der Text ist im INTES – UnternehmerBrief Ausgabe 02/2020 erschienen.
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