Rollenwechsel – Souverän in jeder Rolle

Authentizität gilt als Erfolgsgarant. Vor allem Unternehmerinnen und Unternehmer haben angeblich stets sie selbst zu sein. Aber ist dem wirklich so? Von Rai­ner Nier­mey­er Der idea­le Chef soll echt sein, mit Ecken und Kan­ten, un­ver­fälscht, auf­rich­tig, ehr­lich, in­te­ger. So for­mu­lie­ren es Per­so­na­ler bei der Su­che nach Top-Füh­rungs­kräf­ten, und so wün­schen sich Mit­ar­bei­ter ihre Vor­ge­setz­ten. Dies … Weiterlesen

Authentizität gilt als Erfolgsgarant. Vor allem Unternehmerinnen und Unternehmer haben angeblich stets sie selbst zu sein. Aber ist dem wirklich so?

Von Rai­ner Nier­mey­er

Der idea­le Chef soll echt sein, mit Ecken und Kan­ten, un­ver­fälscht, auf­rich­tig, ehr­lich, in­te­ger. So for­mu­lie­ren es Per­so­na­ler bei der Su­che nach Top-Füh­rungs­kräf­ten, und so wün­schen sich Mit­ar­bei­ter ihre Vor­ge­setz­ten. Dies zu­min­dest ist das Er­geb­nis ei­ner Stu­die der Aka­de­mie für Füh­rungs­kräf­te der Wirt­schaft in Über­lin­gen. Über 60 Pro­zent der 267 Be­frag­ten nann­ten Au­then­ti­zi­tät als die wich­tigs­te Füh­rungs­ei­gen­schaft – noch vor Be­geis­te­rungs­fä­hig­keit und Be­last­bar­keit.


Je ech­ter, des­to bes­ser? Falsch: Für Füh­rungs­kräf­te geht es nicht dar­um, die ei­ge­ne Per­sön­lich­keit aus­zu­le­ben. Zu­ge­spitzt ge­sagt: Das soll­te man lie­ber in der Män­ner­grup­pe am Wo­chen­en­de oder im Töp­fer­kurs auf Fu­er­teven­tura tun. Denn wer sich im Un­ter­neh­men mit all sei­ner Na­tür­lich­keit, mit Zwei­feln und be­rech­tig­ter Selbst­kri­tik zeigt, wie er ist, hat we­nig Chan­cen, sei­ner Füh­rungs­auf­ga­be auf Dau­er ge­recht zu wer­den. Er­folg­reich sind nur jene Vor­ge­setz­te, die für sich je­weils ex­akt de­fi­nie­ren kön­nen, wel­che Rol­le sie in ih­rer Funk­ti­on je­weils dar­zu­stel­len ha­ben. Be­son­ders deut­lich wird dies in der Po­li­tik. Josch­ka Fi­scher mu­tier­te einst aus der Rol­le des Stra­ßen­kämp­fers hin­ein in die ei­nes ve­ri­ta­blen Au­ßen­mi­nis­ters.

Auch in Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men geht es im­mer wie­der um ex­ak­te Rol­len­de­fi­ni­tio­nen, denn fa­mi­li­en­in­ter­ne Kon­flik­te ent­ste­hen ge­nau dann, wenn Rol­len nicht klar de­fi­niert, kom­mu­ni­ziert und ent­spre­chend ge­lebt wer­den. Be­son­ders beim Über­gang von ei­ner Rol­le in die nächs­te, z.B. vom Ge­schäfts­füh­rer zum Bei­rat, von der Nach­fol­ge­rin zur Ge­schäfts­füh­re­rin, von der Ge­sell­schaf­te­rin zur Bei­rats­vor­sit­zen­den oder vom ge­schäfts­füh­ren­den Ge­sell­schaf­ter zum Pri­va­tier, ent­ste­hen oft Rei­bungs­punk­te.
Eine so­zio­lo­gi­sche Stu­die zum The­ma „Pro­fes­sio­na­li­tät“ be­stä­tigt: Ge­schäfts­füh­rer und Füh­rungs­kräf­te müs­sen wis­sen, wie sie sich zu in­sze­nie­ren ha­ben und welch­Sym­bo­lik ih­nen in ih­rer Po­si­ti­on zur Ver­fü­gung steht. Ge­lingt ih­nen das, wir­ken sie kom­pe­tent – ge­rät die In­sze­nie­rung zu plump, gel­ten sie als aal­glat­te Täu­scher, de­ren Make auf­ge­setzt wirkt.

Wich­tig zu wis­sen für Un­ter­neh­mer: Wenn er oder sie sich er­folg­reich „in­sze­niert“, gibt er oder sie des­halb noch lan­ge nicht die ei­ge­ne Iden­ti­tät auf. Das funk­tio­niert schon des­halb nicht, weil Un­ter­neh­mer und Un­ter­neh­me­rin­nen vie­le Rol­len gleich­zei­tig spie­len müs­sen, die nicht bruch­los zu­sam­men­pas­sen. Die El­tern stel­len sich un­ter sei­ner/​ih­rer Rol­le et­was an­de­res vor als die Mit­ar­bei­ter, an­ge­stell­te Füh­rungs­kräf­te et­was an­de­res als die Öffent­lich­keit, Ehe­frau und Kin­der et­was an­de­res als die Freun­de im Fuß­ball­ver­ein. Es bleibt dem Un­ter­neh­mer oder der Un­ter­neh­me­rin gar nichts an­de­res üb­rig, als sich selbst be­wusst als Rol­len­trä­ger zu be­grei­fen. Als ein in­di­vi­du­el­ler „Spie­ler von Rol­len“, der sein Skript ver­in­ner­licht hat und stets die Tei­le sei­ner Per­sön­lich­keit „her­aus­kit­zelt“, die am bes­ten zur je­wei­li­gen Si­tua­ti­on pas­sen.

Geschicktes Rollenspiel

Das gilt auch für Be­rufs­ein­stei­ger, wie die Be­ob­ach­tun­gen aus As­sess­ment-Cen­tern zei­gen: Je bes­ser es uns ge­lingt, uns über ver­gan­ge­ne und ge­gen­wär­ti­ge Rol­len klar zu wer­den, und je selbst­be­wuss­ter und ge­schick­ter wir un­se­re Rol­len aus­spie­len, des­to ech­ter wirkt un­ser Auf­tritt. Kei­nes­falls soll­ten wir uns den Wün­schen der Be­ob­ach­ter un­re­flek­tiert hin­ge­ben – und ein­fach so sein, wie wir sind.
 
„So pa­ra­dox es klingt: Gute Un­ter­neh­mer müs­sen ihre Au­then­ti­zi­tät un­ter Kon­trol­le brin­gen“, er­klä­ren denn auch Rob Gof­fee und Ga­reth Jo­nes, Ex­per­ten für Or­ga­ni­sa­ti­on an der Lon­don Busi­ness School, im Har­vard Busi­ness Re­view. Sie müs­sen ihre Au­then­ti­zi­tät sorg­sam auf­bau­en und vor­sich­tig da­mit um­ge­hen, heißt es dort. Zu viel Kon­for­mi­tät scha­de der Füh­rungs­ar­beit, zu we­nig kön­ne sie iso­lie­ren.
 

An­ders ge­sagt: Wer sich stur an die Re­geln ei­ner Rol­le hält, wirkt kalt und me­cha­nisch. Wer al­lein sei­nen ech­ten Ge­füh­len folgt, agiert blind und eckt an. Au­then­ti­zi­tät in der Füh­rung funk­tio­niert nur, wenn sie im Kern ra­tio­nal ge­steu­ert ist.

Ein Balanceakt

Wer also ge­nau hin­sieht, ver­steht, dass das be­ruf­li­che Le­ben nichts an­de­res ist als ein gran­dio­ses Büh­nen­spiel – mit un­ter­schied­lich ver­teil­ten Rol­len. Ei­nes der schil­lernds­ten Bei­spie­le ist der ehe­ma­li­ge Gou­ver­neur Ka­li­for­ni­ens. Als ge­lern­ter Schau­spie­ler ver­moch­te er es, die Rol­le ei­nes Po­li­ti­kers so über­zeu­gend zu spie­len, dass er zwei­mal zum „Lan­des­va­ter“ ge­wählt wur­de. Doch nicht nur in den USA ge­winnt der pa­ten­te Büh­nen­ak­teur. So wur­de ein Tat­ort-Schau­spie­ler ganz of­fi­zi­ell im Jahr 2010 zur Wahl des deut­schen Bun­des­prä­si­den­ten auf­ge­stellt. „Die gan­ze Welt ist eine Büh­ne und wir sind nichts als Schau­spie­ler“, wuss­te schon Wil­li­am Shake­speare. Wer die­ses Spiel durch­schaut, ist ein­deu­tig im Vor­teil: Er lernt das Spiel zu be­herr­schen und ge­winnt ge­sun­den Ab­stand zum Büh­nen­spek­ta­kel. Er­folg hat so­mit nur, wer glaub­haft dar­stel­len kann, dass er au­then­tisch ist. Nur un­ver­bes­ser­li­che Gut­men­schen und bra­ve oder rea­li­täts­fer­ne Kom­mu­ni­ka­ti­ons­trai­ner der Stuhl­kreis-Gil­de un­ter­lie­gen noch dem Au­then­ti­zi­täts­wahn. Auf eine Füh­rungs­kraft war­ten die un­ter­schied­lichs­ten Rol­len: cha­mä­leon­ar­tig bis hin zur Selbst­auf­ga­be bei der Er­fül­lung des Er­war­tungs­ho­ri­zon­tes zwi­schen Vi­sio­när, Händ­chen­hal­ter, Fi­nanz­jon­gleur, En­ter­tai­ner und so­zi­al en­ga­gier­tem Team­lea­der. Und ge­nau dies ist das täg­lich er­neut Span­nen­de auf den Büh­nen der Un­ter­neh­men: Die kom­plet­te Band­brei­te der Per­sön­lich­keit wird ab­ge­for­dert!

Rai­ner Nier­mey­er ist Ma­nage­ment­coach und HR-Be­ra­ter.

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