Systemwechsel

Wenn Familienunternehmen von der Inhaberführung auf eine Fremdgeschäftsführung umstellen, ändert sich mehr als die Person an der Spitze. Es ist ein kompletter, meist kolossal unterschätzter Systemwechsel. Von Sa­bi­ne Strick Bei Oet­ker hat es 126 Jah­re ge­dau­ert, be­vor im Jahr 2017 erst­mals ein Nicht-Fa­mi­li­en­mit­glied die Ge­schi­cke des Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mens lei­ten durf­te. Bei Vor­werk wa­ren es 122 Jah­re … Weiterlesen

Wenn Familienunternehmen von der Inhaberführung auf eine Fremdgeschäftsführung umstellen, ändert sich mehr als die Person an der Spitze. Es ist ein kompletter, meist kolossal unterschätzter Systemwechsel.

Von Sa­bi­ne Strick

Bei Oet­ker hat es 126 Jah­re ge­dau­ert, be­vor im Jahr 2017 erst­mals ein Nicht-Fa­mi­li­en­mit­glied die Ge­schi­cke des Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mens lei­ten durf­te. Bei Vor­werk wa­ren es 122 Jah­re bis zum ers­ten Fremd-CEO. Kaf­fee­rös­ter Ar­thur Dar­bo­ven will im ho­hen Al­ter von 82 Jah­ren den 54-jäh­ri­gen Mul­ti­un­ter­neh­mer An­dre­as Ja­cobs ad­op­tie­ren, da­mit doch noch ein „Fa­mi­li­en­mit­glied“ die Füh­rung von Dar­bo­ven über­neh­men kann, nach­dem sei­ne leib­li­chen Kin­der für ihn als Nach­fol­ger nicht in­fra­ge kom­men. Und so manch an­de­res Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men drängt im­mer noch – be­wusst oder un­be­wusst – den semi-ge­will­ten oder semi-ge­eig­ne­ten Spröss­ling in das Top-Amt. Das Ar­gu­ment: Der Fak­tor „fa­mi­ly­ness“, also das Den­ken in Ge­ne­ra­tio­nen, das Herz­blut und die un­be­strit­te­nen Vor­tei­le, wenn Ei­gen­tum und Füh­rung in ei­ner Per­son ver­eint sind, wie­ge eine even­tu­ell sub­ob­ti­ma­le fach­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on schon auf.

AL­LER AN­FANG IST SCHWER

War­um nur tun sich die­se Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mer mit dem The­ma „Fremd­ma­na­ger als CEO“ so schwer? Da­bei ist eine aus Fa­mi­li­en­mit­glie­dern und Fremd­ma­na­gern be­ste­hen­de ge­misch­te Ge­schäfts­füh­rung ab ei­ner be­stimm­ten Un­ter­neh­mens­grö­ße oh­ne­hin un­um­gäng­lich und längst gang und gäbe.

Eine ge­misch­te Ge­schäfts­füh­rung sei eine Sa­che, ein fa­mi­li­en­frem­der CEO je­doch eine ganz an­de­re Sa­che, sa­gen die Skep­ti­ker ei­ner Fremd­ge­schäfts­füh­rung. Aber war­um ei­gent­lich? Den für die ak­tu­el­le Her­aus­for­de­rung pas­sends­ten Top-Ma­na­ger für die Füh­rung des ei­ge­nen Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mens am Markt ein­zu­kau­fen ist doch durch­aus ein Er­folgs­mo­dell, wie vie­le Bei­spie­le zei­gen: Der Hei­den­hei­mer Misch­kon­zern Voith wird seit den 1970er-Jah­ren von Fa­mi­li­en­frem­den ge­führt. Die Un­ter­neh­men Freu­den­berg, Ha­ni­el, Ber­tels­mann, Sprin­ger, Aldi, Würth oder Kärcher ähn­lich lan­ge und kei­nes da­von des­we­gen we­ni­ger er­folg­reich.

Grün­de für die Skep­sis sind die Angst vor dem Kon­troll­ver­lust aber auch das Un­be­ha­gen beim Ma­nage­ment des Sys­tem­wech­sels. Denn den vie­len Er­folgs­bei­spie­len ge­hen nicht sel­ten zahl­lo­se „ver­schlis­se­ne“ Fremd­ma­na­ger vor­aus. Zwei bis drei Vor­stands­vor­sit­zen­de in­ner­halb der bei­den ers­ten Jah­re nach Rück­tritt des Fa­mi­li­en-CEOs sind kei­ne Sel­ten­heit. 50 Pro­zent al­ler Fremd­ma­na­ger in Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men er­wie­sen sich als Fehl­be­set­zung, fand eine Stu­die des In­sti­tuts für  Mit­tel­stands­for­schung 2012 her­aus. Dass der ers­te Fremd­ma­na­ger, der den Pa­tri­ar­chen an der Spit­ze ab­löst, auf Dau­er bleibt, ist in der Tat eher sel­ten.

Ohne ei­nen trans­pa­ren­ten Stra­te­gie­pro­zess wird es nicht ge­hen.

Principal-Agent-Konflikt und Systemwechsel

Die­se Er­fah­rung muss­te jetzt auch Fress­napf-Grün­der Tors­ten Töl­ler ma­chen. Er hat­te sich wei­se vor­aus­pla­nend schon mit An­fang 50 im Jahr 2016 aus dem ope­ra­ti­ven Ge­schäft zu­rück­ge­zo­gen. Nach nur zwei Jah­ren trenn­te er sich im Früh­jahr 2018 wie­der von sei­nem CEO Al­fred Glan­der und führt ak­tu­ell wie­der zwei ope­ra­ti­ve Be­rei­che selbst. Nur vor­über­ge­hend, wie er be­tont.

STRA­TE­GIE UND FÜH­RUNGS­KUL­TUR SIND DER SCHLÜS­SEL

Doch war­um schei­tert der Über­gang im­mer wie­der? Zahl­rei­che Stu­di­en und Ex­per­ten für Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men ma­chen da­für vor al­lem die man­geln­de Pro­fes­sio­na­li­tät bei der Aus­wahl und die kul­tu­rel­len Un­ter­schie­de zwi­schen Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men und Un­ter­neh­men an­de­ren Ty­pus ver­ant­wort­lich. Aber das ist zu kurz ge­sprun­gen.
Die ty­pi­scher­wei­se auf­tre­ten­den Rei­bungs­punk­te beim ers­ten Über­gang von der Fa­mi­li­en­füh­rung zur Fremd­ge­schäfts­füh­rung ha­ben nur vor­der­grün­dig et­was mit man­geln­der Sorg­falt bei der Aus­wahl, feh­len­der Che­mie oder kul­tu­rel­len Di­ver­gen­zen zu tun. Eher sind sie dem dann erst­mals auf­tre­ten­den Prin­ci­pal-Agent-Kon­flikt und dem fun­da­men­ta­len Sys­tem­wan­del ge­schul­det

Fremd­ma­na­ger als In­te­rims­lö­sung er­mög­li­chen Nach­fol­gern eine ech­te Wahl­frei­heit.

Eine ent­schei­den­de Rol­le spielt die Ent­wick­lung, An­pas­sung und Um­set­zung der Un­ter­neh­mens­stra­te­gie. Beim Ei­gen­tü­mer-CEO war Stra­te­gie, was der Chef will. Beim Fremd-CEO geht es ohne eine sys­te­ma­ti­sche, kla­re stra­te­gi­sche Pla­nung nicht. Nur so kann ge­währ­leis­tet wer­den, dass alle Ge­sell­schaf­ter die Ent­wick­lung mit­tra­gen und mit­fi­nan­zie­ren, dass es kla­re Ar­beits­auf­trä­ge und Zie­le für Bei­rat, Ge­schäfts­füh­rung und Mit­ar­bei­ter gibt, dass die Füh­rungs­struk­tur an­ge­mes­sen wei­ter­ent­wi­ckelt und dass die rich­ti­gen An­for­de­rungs­pro­fi­le und An­reiz­sys­te­me für die be­tei­lig­ten Füh­rungs­kräf­te eta­bliert wer­den. Wenn dem Un­ter­neh­men hier die Er­fah­rung fehlt, ist ein sol­cher Stra­te­gie­fin­dungs­pro­zess al­ler­dings zeit­auf­wen­dig und kon­flikt­träch­tig. Denn plötz­lich wer­den un­ter­neh­me­ri­sche Fra­gen von gro­ßer Trag­wei­te erst­mals in grö­ße­ren Gre­mi­en mit neu­en Be­tei­lig­ten dis­ku­tiert, die der Ei­gen­tü­mer-CEO vor­her im Zwei­fel nur mit sich selbst aus­ge­macht hat. Er hat sich viel­leicht be­ra­ten las­sen, ent­schie­den hat er al­ler­dings al­lein.

Die richtige Führungsstruktur finden

VON DER IN­TE­RIMS- ZUR DAU­ER­LÖ­SUNG

Zum an­de­ren spielt die rich­ti­ge Füh­rungs­struk­tur eine gro­ße Rol­le. Bei ei­nem Ge­ne­ra­ti­ons­wech­sel wird in der Re­gel nicht nur die Top-Po­si­ti­on neu be­setzt, son­dern meist auch die Füh­rungs­mann­schaft er­gänzt, wenn nicht so­gar kom­plett um­ge­baut – be­son­ders bei schnell wach­sen­den Un­ter­neh­men. Denn es geht nicht dar­um, den schei­den­den Pa­tri­ar­chen zu er­set­zen. Die Fra­ge ist viel­mehr: Wel­ches Ta­lent, wel­che Fä­hig­kei­ten ver­teilt auf wie vie­le Köp­fe braucht das Un­ter­neh­men, um zu­künf­tig er­folg­reich zu sein?

Und die­se neue Füh­rungs­mann­schaft muss dann für vie­les kla­re Spiel­re­geln auf­stel­len, was vor­her durch die jah­re­lang vor­ge­leb­te Füh­rungs­kul­tur des In­ha­bers im­pli­zit klar war. Es braucht neue Re­porting­struk­tu­ren – vor al­lem aber neue Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Um­gangs­re­geln, die be­spro­chen, um­ge­setzt und ge­übt wer­den wol­len. Das gilt für die Kom­mu­ni­ka­ti­on in­ner­halb der Füh­rungs­mann­schaft, aber auch zwi­schen Ge­schäfts­füh­rung und Ei­gen­tü­mern oder Bei­rat.

Ne­ben dem Sys­tem­wech­sel bei Stra­te­gie und Struk­tur ge­hen mit der Überg­a­be an ei­nen Fremd­ma­na­ger wei­te­re Ver­än­de­run­gen ein­her: Die jün­ge­re Ma­na­ger­ge­ne­ra­ti­on hat ei­nen an­de­ren Ar­beits­stil. Zu­dem muss (!) der neue CEO oft gro­ße gro­ße und oft­mals ri­si­ko­be­haf­te­te Um­ge­stal­tun­gen vor­neh­men, denn auch Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men sind nicht ge­feit vor der Dy­na­mik der sich ra­di­kal ver­än­dern­den Märk­te. Da­mit ein­her­ge­hen­de Mit­ar­bei­ter­fluk­tua­tio­nen oder gar vor­über­ge­hen­de ge­schäft­li­che Ein­brü­che aus­zu­hal­ten, ohne ein­zu­grei­fen, ist für vie­le ehe­ma­li­ge Un­ter­neh­mer, die sich ei­gent­lich zu­rück­zie­hen woll­ten, ein Ding der Un­mög­lich­keit. An­ge­sichts all die­ser Fak­to­ren ist das Miss­er­folgs­ri­si­ko beim Über­gang zum Fremd­ma­nage­ment na­tur­ge­mäß hoch.

Aber vie­le Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men ha­ben gar kei­ne an­de­re Wahl, als auf eine Fremd­ge­schäfts­füh­rung zu set­zen, wenn sie den dy­nas­ti­schen Ge­dan­ken fort­set­zen wol­len. Un­ter­neh­mer be­kom­men im­mer spä­ter Kin­der. Der hohe Al­ters­un­ter­schied und die län­ge­ren Aus­bil­dungs- und Selbst­fin­dungs­pha­sen ma­chen di­rek­te Überg­a­ben vom Va­ter auf den Sohn oder von der Mut­ter auf die Toch­ter sel­te­ner. „Wenn mei­ne Kin­der alt ge­nug sind, ein 12.000-Mit­ar­bei­ter-Un­ter­neh­men zu füh­ren, gehe ich am Rol­la­tor durch die Fir­ma“, kom­men­tier­te Fress­napf-Grün­der Tors­ten To­el­ler un­längst in ei­nem In­ter­view mit dem „wir“-Ma­ga­zin.

Fremdmanager als Interimslösung?

Das muss nicht schlecht sein. Manch­mal ent­wi­ckelt sich das, was als In­te­rims­lö­sung an­fing, zum ech­ten Top-Füh­rungs­duo, wie zum Bei­spiel die Füh­rungs­spit­zen bei Kat­jes (To­bi­as Bach­mül­ler und Bas­ti­an Fas­sin) oder bei Knauf Gips (Man­fred Grund­ke und Alex­an­der Knauf) zei­gen.

Fremd­ma­na­ger als In­te­rims­lö­sung ha­ben auch den Charme, dass Un­ter­neh­mer ih­ren Kin­dern da­mit er­mög­li­chen, sich frei für oder ge­gen eine Füh­rungs­rol­le im Un­ter­neh­men zu ent­schei­den. Dies ist aber nur dann eine ech­te Frei­heit, wenn es den In­te­rims­ma­na­ger nicht nur als theo­re­ti­sches Al­ter­na­tiv­kon­zept gibt, son­dern er ge­leb­te Rea­li­tät ist. Nicht sel­ten ent­de­cken Un­ter­neh­mer­kin­der dann, dass sie im bzw. am Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men auch an­ders ge­stal­te­risch tä­tig sein kön­nen als in der CEO-Rol­le. Das funk­tio­niert zum Bei­spiel auch aus ei­ner Bei­rats­po­si­ti­on her­aus. Ent­schei­dun­gen, wie die von Gun­nar Rauf­fus bei Rü­gen­wal­der Müh­le oder To­bi­as Ro­sen­thal bei Ba­er­lo­cher (sie­he auch Next Ge­ne­ra­ti­on Por­traits), die bei­de trotz ex­zel­len­ter Aus­bil­dung und fach­li­cher Qua­li­fi­ka­ti­on ihre Rol­le im ei­ge­nen Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men bis­lang eher im Bei­rat als in der Ge­schäfts­füh­rung se­hen, wä­ren vor zehn Jah­ren viel­leicht noch miss­trau­isch be­äugt wor­den. Heu­te ist das bei den Ver­tre­tern der Next Ge­ne­ra­ti­on durch­aus ak­zep­tiert und an­er­kannt und auch aus Un­ter­neh­mens­sicht mit­un­ter die bes­te Lö­sung.

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